Wir Christen treiben die Leibesfrucht nicht ab
Diakon Thomas Zmija
Das menschliche Leben, auch das des noch ungeborenen Menschen, zu schützen gehört zu den unverrückbaren und unaufgebbaren ethischen Positionen des
christlich-orthodoxen Glaubens. Das Leben eines Babys im Leib seiner Mutter zu beenden ist und bleibt sündhaft und falsch, auch wenn viele Menschen das im Rahmen der Entscheidungsautonomie heute
anders sehen wollen. (Weit über 100.000 Abtreibungen pro Jahr sprechen für Deutschland eine Mehr als eindeutige Sprache)
Bereits der frühchristliche Apologet Tertullian schrieb: „Wir aber dürfen, da der Mord uns ein für allemal verboten ist, auch den Fötus im Mutterleibe nicht
zerstören. Die Geburt verhindern ist nur eine Beschleunigung des Mordes, und es verschlägt nichts, ob man ein schon geborenes Leben entreißt oder ein in der Geburt begriffenes zerstört.“
Die ersten Christen waren nicht nur gegen Abtreibung und Kindestötung, sondern sie halfen
auch, die Not zu lindern, indem sie ausgesetzten Babys ein liebevolles Zuhause boten. Tertullian meinte: „Die Mittel der Kirche stehen zur Verfügung, um mittel- und elternlose Kinder
zu versorgen.“
Im Sommer 2019 hat Seine Heiligkeit Patriarch Kyrill die Grundlagen der christlich-orthodoxen Position noch einmal unmissverständlich herausgestellt. In einem
grundlegenden Positionspapier, das vom Moskauer Patriarchat veröffentlicht wurde, heißt es: „Das ungeborene Kind ist ein Mensch nach dem Bilde Gottes und hat das Recht auf Leben. Es ist
inakzeptabel, eine Person nur auf der Grundlage von Merkmalen wie Selbstbewusstsein, Autonomie und Rationalität sowie Beziehungen zu anderen Menschen zu definieren.“ Wie es in dem
Grundsatzdokument weiter heißt, bekennt sich die orthodoxe Kirche zur menschliche Würde des Embryos. Deshalb betont die orthodoxe Kirche unmissverständlich dessen Recht auf menschliche
Identität, Leben und Entwicklung. Die Orthodoxe Kirche eine entsprechende gesellschaftliche und staatliche Absicherung in der Gesetzgebung. Abtreibung ist immer „die willkürliche Aberkennung des
Lebens eines Menschen, das heißt ein Mord, und deshalb ist es unmöglich, von einem ,Recht auf Abtreibung’, das hieße einem ,Recht auf Mord’, zu sprechen. Abtreibung kann deshalb nicht als Mittel
der ,Familienplanung’ anerkannt werden“.
Bereits das alttestamentliche Gottesvolk betrachtete das menschliche Leben aufgrund der göttlichen Gesetze als heilig. Die besondere Zuwendung Gottes zum Menschen zeigt sich bereits im Schöpfungsbericht, wo es
heißt: "Da formte Gott, der Herr, den Menschen aus Erde vom Ackerboden und blies in seine Nase den
Lebensatem. So wurde der Mensch zu einem lebendigen Wesen." (vgl. Genesis 2:7) Durch die Begabung mit dem gottgegebenen Lebensatem wird das menschliche Wesen zu einer lebendigen Person. Gott ist also nicht nur der Schöpfer der menschlichen Natur, sondern auch der Schöpfer und
Erhalter jedes einzelnen Menschen (vgl. Jesaja 17: 7). Jeder einzelne Mensch ist vom Zeitpunkt seiner Empfängnis an Gott geheiligt und Sein Eigentum.
Diese besondere Heiligkeit eines jeden menschlichen Lebens ruft uns Psalm 140:13-16 ( Nach westlicher Zählung ist es der Psalm 139) in Erinnerung: "Denn Du
hast mein Inneres geschaffen, mich gewoben im Schoß
meiner Mutter... Als ich geformt wurde im Dunkeln, kunstvoll gewirkt in den Tiefen der Erde, waren meine Glieder Dir nicht verborgen. Deine Augen
sahen, wie ich entstand, in Deinem Buch war schon allesverzeichnet; meine Tage waren schon gebildet,
als noch keiner von ihnen da war. Gott, dem Herrn und Schöpfer des Himmels und der Erde, ist jedes menschliche Leben von der Zeugung an zu eigen.
Selbst wenn wir als Christen dem egoistischen und unwahren Satz - den der Vater aller Lüge uns in seiner diabolischen Bosheit einflüstern möchte - zustimmen würden: "Mein Körper gehört
mir", auch dann gehört das neue Leben im Leib der schwangeren Frau eben gerade nicht ihr, sondern dem menschenliebenden Gott.
Das werdende Leben in ihrem Leib ist bereits vollkommen Mensch. Dieses werdende Leben - der Embryo - ist also nicht einfach nur ein Zellhaufen. Er ist vielmehr von
Zeugungszeitpunkt an geheiligt, denn Gott gewährte ihm bereits eine unsterbliche Seele, mögen sich auch Leib und Geist erst in den folgenden Monaten noch vollkommen ausgestalten.
Gott kennt und liebt jeden Menschen von Anfang seiner Existenz an. Unsere
menschliche Identität als Ebenbild und Ikone Gottes zu sein, liegt in der Gottesgabe unserer unsterblichen Seele begründet. Damit liegt unser vollkommenes Menschsein eben auch nicht in unserer
körperlichen oder geistigen Unversehrtheit begründet. Unser Menschsein ist ein gottgeschenktes Mysterion. Es gründet damit tiefer als unsere bewußte oder körperlich unversehrte Existenz. Es
gründet tiefer als unser Erwachen zum menschlichen Bewußtsein, unserer Aufnahme der zwischenmenschlichen Zwiesprache oder gar der Anerkennung und Annahme durch die menschliche Gemeinschaft,
in die wir hineingeboren werden. Gott gibt sein "Ja" jedem ungeborenen Kind; gerade auch dem behinderten Kind. Übrigens machen sich die Ärzte bei Abtreibungen nach einer Pränataldiagnostik in
fast diabolischer Weise zu gottähnlichen Richtern, wenn sie in nach den Kategorien des menschlichen Ablehnens, Machens und Planens darüber zu entscheiden wagen, welches Leben "wert" und welches
"unwert" sei; welches weiterleben und welches wie Abfall entsorgt werden solle.
Psalm 140 sagt es uns deutlich: Schon den Embryo sahen Gottes Augen. Gott kennt jeden einzelnen Menschen von Mutterleibe an. Damit wird auf einzigartige und wunderbare Weise offenbar,
wie tief jedes einzelne Menschenleben in Gott gründet ist. Der Embryo ist Gott geheiligt, er ist Sein Eigentum. Die ist der Grund warum die orthodoxe, aber auch die katholische Kirche
unverrückbar daran fest hält, dass bereits der Embryo eine von Gott geschenkte Würde besitzt, die unantastbar und auch für das weltlichem Recht nicht verfügbar ist.
Das fünfte Gebot (Exodus 20: 13 und Deuteronomium 5: 17) – das "Tötungsverbot" - finden wir im Alten Testament zweimal. Wörtlich übersetzt würde das Gebot lauten:
"Du sollst nicht morden!" Da aber das hier verwendete hebräische Verb "rasah" ist nicht ganz einfach ins Deutsche zu übersetzen ist, müssen wir zum Vergleich weitere Textstellen befragen. Unter
Hinzuziehung weiterer Stellen im Alten Testament (z.B. Deuteronomium 19:11; 22:26) geht dann aber klar hervor, dass es hier um Mord, als der Tötung eines wehrlosen Opfers geht.
Und gänzlich wehrlos und schutzbedürftig ist der Embryo im Mutterleib und heimtückisch, da von den sündhaften Leidenschaften des Egoismus (der entlarfende
Slogan der Abtreibungsbefürworter lautet sogar: ("Mein Körper gehört mir!") getragen, ist das als, im Sinne der Gottesgebote als mörderisch zu verurteilende, Handeln der an einer Abtreibung
Beteiligten, auch wenn der, momentan herrschende und die Deutungshohheit beanspruchende, Zeitgeist uns etwas anderes vorgauckeln möchte.
Von daher weiß sich die orthodoxe Kirche, zusammen mit der katholischen Kirche und auch vielen unserer evangelischen Mitchristen, dem Widerstand gegen die Abtreibung
und die sogenannte Sterbehilfe (Euthanasie) verpflichtet. Ethische Sondersituationen jedoch, wie zum Beispiel die Frage nach der kirchlichen Haltung, wenn die Gesundheit oder das Leben der
werdenden Mutter bedroht sind, gehören in der orthodoxen Kirche in den Verantwortungsbereich der Seelsorge.
Bereits bei den Apostolischen Vätern finden wir klare Belege für die sei apostolischer Zeit unverändert gebliebene Aufffassung der orthodoxen Kirche. Inder"Lehre der
zwölf Apostel", die uns zwei Wege vor Augen stellt,nämlich den Weg des Lebens und den Weg des Todes, heißt es unmissverständlich:"Du sollst nicht töten, nicht ehebrechen, nicht Knabenschänden,
nicht Unzuchttreiben, nicht stehlen, nicht Zauberei betreiben, nicht Gift mischen ,du sollst ein Kind nicht abtreiben und das Geborene nicht töten, nicht den Besitz deines Nächsten begehren." Im
Barnabasbrief, einer nicht zum Neuen Testament gehörenden antiken Schrift, die dem heiligen Apostel Barnabas zugeschrieben wurde, finden wir fast wörtlich die gleichen Ausssagen: "Du sollst
deinen Nächsten mehr als dich selbst lieben! Du sollst nicht abtreiben, noch ein Neugeborenes wieder beseitigen!" Die Apostolische Kirchenordnung und die Apostolischen Konstitutionen wiederholen
diese gemeinchristliche Überzeugung und fügen hinzu, daß der Embryo von Gott bereits eine Seele erhalten habe und seine Vernichtung als Mord
dem göttliche und weltlichen Gericht verfalle.
Nun ist es falsch zu meinen, dass die Abtreibung erst eine neuzeitliche, moderne Erscheinung sei. Abtreibung war in der Antike weit verbreitet, besonders während der
römischen Kaiserzeit. Sie wurde gerade von den wohlhabenden Gesellschaftssschichten häufig praktiziert. Es ist also wichtig festzuhalten, dass in apostolischer
Zeit die Praxis der Abtreibung, Heiden auf der einen Seite und Juden und Christen auf den anderen Seite trennte. Also Abtreibung war mit dem antiken Heidentum und ihre prinzipielle Ablehung mit
dem Gottglauben verbunden.
Die Unterschiede zeigen sich, ähnlich wie heutzutage, ebenfalls in einem verschiedenen Rechts- und Tatsachenverständnis: In antiken Rom wurde das ungeborene Kind als
"Teil der Eingeweide seiner Mutter"betrachtet. Nur der Vater hatte das Recht, über Leben und Tod zuentscheiden. Die Frau, die ohne Wissen des Mannes abtrieb, verstieß gegen die"patria potestas" und gegen den Ehevertrag. Die Christen konnten weder dieses Grundverständnis des Embryo´s, noch die rechtliche Verfügungsgewalt des Hausvaters anerkennen. Gottes Wort und Gebot stehen
höher als alle Satzungen der Menschen.
Auch den Konvertiten aus dem Heidentum mutete die Heilige Kirche einen radikalen Einstellungs- und Verhaltenswandel zu. Denn zu den
Selbstverständlichkeiten des Zeitgeistes in der römisch-hellenistischen Antike gehörte es, die Ehe als ein Arrangement hauptsächlich in der sozialen und ökonomischen Dimension, homosexuelle
Beziehungen unter Männern als reguläres Element der höheren Bildung und die Prostitution, gleich ob männlich oder weiblich, als etwas vollkommen
Legales und Normales zu betrachten. Abtreibung, Empfängnisverhütung und Kindesaussetzung waren in dieser heidnischen Welt einfach nur die
praktischsten Methoden, um bestimmte "Probleme" aus der Welt zu schaffen. Derartigen Praktiken und Bewußtseinshaltungen traten die Christen auf das Entschiedenste entgegen und, sehr zur
Verwunderung ihrer Umwelt, wurden sie auch von den christlichen Katechumenen willig aufgegeben.
Aus der Betrachtung der Situation der Christen in der Antike ergeben sich auch lehrrreiche Einsichten für unsere heutige
Situation: Als Christen können und dürfen wir keineswegs damit rechnen, daß unsere Anschauungen und Überzeugungen gleichsam automatisch und selbstverständlich auf Akzeptanz in der jeweiligen
Gesellschaft stoßen werden. Schon in der Antike verlief die kulturelle Trennungslinie entlang der der geistligen und geistlichgen Überzeugungen. Hedonismus, Diesseitigkeit, Säkularismus stehen
heute mit der Abtreibungspraxis in einer ähnlichen Verbindung wie damals die ebenfalls diesseitige Glückserwartung im antiken Heidentum. Wie in apostolischer Zeit gewinnt der christlich-
orthodoxe Ethos auch heute seinen Überzeugungs- und Strahlkraft dem engen Zusammenhang mit der orthodoxen Glaubenserfahrung.
Als Christen müssen wir heute ebenso mit ideologischen Einwänden und politischen und gesellschaftlichen Widerständen, rechnen
wie es die antiken Christen ebenfalls tun mussten. Als an den Herrn Jesus Christus Glaubende und Seinem Wort und Beispiel Folgende in einer, zumindest
in Westeuropa absehbar wachsenden, Minderheitssituation brauchen wir eine grosse Geduld
und eine hohe Überzeugungskraft bei der Verkündigung unserer ethischen und religiösen
Werte. In einer Zeit, in der Kirche und Gesellschaft immer stärker auseinandertreten, werden wir Christen die Tatsache ins Auge fassen müssen, dass
die rechtlichen Vorschriften in der Zukunft immer mehr losgelöst vom nährenden Mutterboden des Glaubens sein werden. Symphonia von Kirche und Staat und von Kirche und Gesellschaft wird es wohl in
der Zukunft, auch in den bisher traditionell orthodoxen Gesellschaften, immer weniger geben. Auch in Russland und Rumänien ist Abtreibung inzwischen zu einem Massenphänomen geworden und fordert
die dortigen orthodoxen Kirchen in Verkündigung und Pastoral. Als gläubige Christenmüssen wir eine überzeugende Alternative sein, also Sauerteig,
Stadt-auf-dem-Berg und Licht-der-Welt für unsere Umgebung sein. Eine frühchristliche apologetische Schrift "Der Brief an Diognet" sagt es uns
bereits:"...Was im Leib die Seele ist, das sind in der Menschheit die Christen ... ."