Die Sakramente der orthodoxen Kirche

 

Die heiligen Mysterien der orthodoxen Kirche

 

 

Die heiligen Mysterien (Sakramente) sind von Gott geschaffene und von Christus Selbst eingesetzte Heilsmittel, in denen sich uns die Gnade des unsichtbaren Gottes sichtbar mitteilt und schenkt. Der Spendung der heiligen Mysterien erfolgt zur Vergebung der Sünden und zum ewigen Leben, das heißt,  wir empfangen die heiligen Mysterien, damit wir geistlich erneuert werden und in uns das gnadenhaft Leben in Christus zu wachsen beginnt. Durch den Empfang der allheiligen Mysterien werden wir aber nicht nur geistlich erneuert, sondern wir werden zugleich in die heilige orthodoxe Kirche eingeliedern. Wir werden zu lebendigen Steinen am Tempel Gottes auf Erden, zu Gliedern Seiner Kirche und zu einem Teil des mystischen Leibes Christi auf Erden.

 

Mit den katholischen und altorientalischen Kirchen teilt die orthodoxe Kirche  die Glaubensgewissheit hinsichtlich der Bedeutung dieser Heilswerkzeuge für das geistliche Leben und die Erlösung des Christen.

 

Durch das Mysterion der heiligen Taufe wird der Mensch in Christus neu geboren und in die Gemeinschaft der Gläubigen aufgenommen.Im dreimaligen Untertauchen wird er geistlich-sakramental mit Christus begraben  und im Erheben aus den Wassern der Taufe erhält er geistlichen Anteil an der glorrreichen, leibhaften Aufersteung unseres Herrn und Erlösers Jesus Christus.

 

Das Mysterion der heiligen Myronsalbung wird  unmittelbar nach dem Empfang der heiligen Taufe in einem gemeinsamen "Gottesdienst der Erleuchtung" gespendet. Dabei bezeichnet der Priester dem Täufling mit dem heiligen Myron; einem wohlriechenden, sakramental geheiligten Salböl in Form des Zeichen des heiligen Kreuzes auf Stirn, Augen, Nasenflügel, Mund, Ohren, Brust, Hände und Füße. Dieses heilige Myron wird durch den jeweiligen orthodoxen Patriarchen für die Gemeinden seiner Kirche geweiht.

 

Das Mysterion der heiligen Eucharistie ist eine sakramentale Danksagungsfeier für die Heilstaten Gottes und ein geistliches Lobopfer, in der durch das Wirken des Heiligen Geistes das erlösende Heilshandeln Christi in Seiner heiligen orthodoxen Kirche sakramental vergegenwärtigt wird. Die orthodoxe Kirche glaubt, dass durch das Gebet der Epiklese der Heilige Geistes an den Gaben von Brot und Wein das allheilige Mysterion vollzieht und sie tatsächlich zum wahren Leib und kostbaren Blut Christi werden. Aber nicht nur an den Gaben des allheiligen Opfers vollzieht sich diese Verwandlung, sondern zugleich an den Gläubigen. Wie sie in der heiligen Taufe mit Christi geheiligter menschlicher Natur überkleidet werden, so werden sie im Empfang der heiligen Kommunion mit seinem sakramentalen Leib und Blut genährt und auferbaut. Deshalb nennen die heiligen Väter die heilige Eucharistie auch "pharmakon athanasias", ein Medikament und Heilmittel zur Unsterblichkeit.So ist eine wichtige Wir­kung des Sakra­men­tes der heiligen Kommunion, dass es uns für das ewige Leben berei­tet. Wenige Gedan­ken hat der Herr so oft aus­ge­spro­chen wie den: „Wer mich ißt, wird durch mich leben.“ „Wer mein Fleisch und mein Blut ißt und trinkt, der lebt durch mich, und ich werde ihn auf­er­we­cken am Jüngs­ten Tage.“ „Wer mich ißt und trinkt, der wird nicht ster­ben in Ewig­keit.“ Also: Die hei­lige Kom­mu­nion sorgt dafür, daß wir das ewige Leben emp­fan­gen.

 

Deshalb sind alle orthodoxen Christen - und damit auch die kleinen Kinder aufgerufen und eingeladen - am Kelch der Heiles in der Göttlichen Liturgie teilzunehmen. Der Empfang der heiligen Kom­mu­nion ist die Vollendung des eucha­ris­ti­schen Opfers. Sie voll­endet auch die durch den Heiligen Geist bewirkte Heils­kraft des Opfers. Der­je­nige, der kom­mu­ni­ziert, emp­fängt mehr von der Heils­kraft des eucha­ris­ti­schen Opfers als jener, der nicht kom­mu­ni­ziert; natürlich immer vor­aus­ge­setzt, dass er wür­dig kom­mu­ni­ziert und sich ent­spre­chend durch Fasten und Gebet vorbereitet hat. Die erste und oberste Wir­kung der hei­li­gen Kom­mu­nion ist die Ver­ei­ni­gung mit Chris­tus.Mit dieser geht aber unmittelbar die Vereinigung der Gläubigen zu dem einen mystischen Leib Christi auf Erden einher. Davon kommt ja der Name die­ses Gesche­hens: Kommunion– Eini­gung, Ver­ei­ni­gung, Gemein­schaft, näm­lich mit Chris­tus und der heiligen Kirche. Die hei­lige Kom­mu­nion ist also sowohl der Gip­fel unserer Ver­ei­ni­gung mit dem Herrn, zugleich aber auch der sakramentale Prozess, der uns zur Kirche werden lässt.

 

Wenn Chris­tus durch den Empfang der allheiligen Gaben in unsere Seelen ein­kehrt, dann geschieht das in der Form des Essens. Wir empfangen, mit irdischen Augen betrachtet (äußer­lich gese­hen) Brot und trin­ken Wein,. Aber zugleich vermögen wir durch die in Taufe und Myronsalbung empfangen Gnadengaben des Heiligen Geistes durch die irdische Hül­len hindurchzublicken. Wir erkennen geistlich die verborgene Wahrheit der Dinge. Wir erblicken im Glauben Chris­tus vergöttlichende Gegenwart. In der Teilnahme am Kelch des Heiles wird nicht ein Ding geges­sen oder eine symolische Handlung gefeiert, wir, son­dern wir emp­fan­gen den perso­na­len Chris­tus im der Anteilnahme an Seinem allheiligen Leib und Seinem kostbaren Blut. So ist "причастие", die heilige Kommunion ein per­son­haf­tes Gesche­hen, das sich im der Synaxis, der Versammlung und Gemeinschaft der heiligen Kirche vollzieht. Unser Herr und Erlöser Jesus Chris­tus, kommt die als der Auferstandene, als der Leben­dige und zur Rechten Gottes Erhöhte, der Logos und Sohn GFottes zu uns Men­schen. Wir empfangen Ihn und nehmen Ihn auf der heiligen Kommunion an seinem sakramental gegenwärtigen, wahrhaftigen Leib und seinem kostbaren Blut. Aber unsere sakramentale Ver­ei­ni­gung mit Chris­tus hält bei Ihm nicht inne; sie geht vielmehr wei­ter, denn Chris­tus ist unlös­lich mit dem Vater in den Him­meln und mit dem Heiligen Geist ver­bun­den. Wer also in der hei­li­gen Kom­mu­nion die gnadenhafte Verbindung mit Chris­tus­, die Chris­tus­ver­ähn­li­chung emp­fängt, der emp­fängt auch die gnadenhafte Ver­bun­den­heit mit dem drei­einigen allheiligen Gott. Durch den Empfang Christi in seinen sakramentalen allheiligen Gaben werden wird ver­bun­den mit dem Vater und mit dem Hei­li­gen Lebenschaffenden Geist. Der Kom­mu­ni­zie­rende emp­fängt die Ver­ähn­li­chung und die Ver­bun­den­heit mit dem dreieinigen Gott. Die Heiligen Väter nennen dies die Theosis, die gnadenhafte Vergöttlichung des Glaubenden. Das mystische Leben in Christus erwächst uns durch den Empfang der hei­li­gen Kom­mu­nion. Die hei­lig­ma­chende Gnade, die er bereits in der heiligen Taufe empfangen hat, wird geför­dert und gestärkt durch den Emp­fang des heiligen Lei­bes und Blutes unse­res Herrn und Erlösers Jesus Christus. Die erste und oberste Wir­kung des Empfangs der heiligen Kom­mu­nion ist die Ver­bun­den­heit und die Ver­ähn­li­chung mit Chris­tus und dadurch  mit dem drei­einigen fal­Gott, die uns als Christophoros, als Christusträger zugleich zu einem mystischen Leib Christi auf Erden verbindet.

 

So ist die zweite Wir­kung des Empfangs der heiligen Kom­mu­nion die Ver­bun­den­heit der Kom­mu­ni­zie­ren­den untereinander. Wer mit Chris­tus ver­bun­den wird, in wen das geistliche Leben in Chris­to strömt, der wird auch mit denen ver­bun­den sein, die eben­falls mit Chris­tus ver­bun­den sind, Seinen Brüdern und Schwestern in Christo. Sie wer­den unter­ein­an­der zu einer sakramentalen Gemein­schaft, der heiligen Kirche. Der eucha­ris­ti­sche Leib, das ist die heilige Kom­mu­nion, wird nun zum sakramentalen Samen für den mys­ti­sche Leib Christi auf Erden, das ist die heilige orthodoxe Kir­che. Der eucha­ris­ti­sche Leib Christi bewirkt also den mys­ti­schen Leib Christi. Durch den Empfang der heiligen Kom­mu­nion wer­den wir zu Glie­dern der einen heiligen Kir­che mit­ein­an­der ver­bun­den. In der Feier der Göttlichen Liturgie erlebt die orthodoxe Kir­che die würdige Dar­stel­lung und vollkommene Verwirklichung ihres eige­nen Wesens, näm­lich der mystische Leib Christi zu sein.

 

Diese Ver­bun­den­heit unter­ein­an­der durch die Feier der Göttlichen Liturgie und den Empfang des Sakramentes muss natür­lich Aus­wir­kun­gen haben. Wenn wir durch die gemeinsame Teilhabe am Kelch des Heiles unter- und mit­ein­an­der ver­bun­den sind, dann muß sich ich auch als ein Ver­bunde­ner in Christo durch meinLeben und meine Taten bezeu­gen, dass die opfernde und die­nende Liebe, die von Chris­tus aus­geht und die ich in der Feier der Göttlichen Liturgie und im Empfang der hei­li­gen Kom­mu­nion erfahren habe, mich in Christus umgestalten darf. Was dem Sein nach gesche­hen ist, das muß jetzt auch unserem Tun nach ver­wirk­lichen. Auch im All­tagsleben des orthodoxen Christen soll nun sichtbar werden, dass er durch Chris­tus mit­ den anderen Gläubigen, ja allen Menschen und der gesamten Schöpfung in Liebe ver­bun­den ist. Im alltäglichen Leben des orthodoxen Christen geht es also nicht um die Verwirklichung einer Ethik, nicht um Moral,oder gar um Gesetzeserfüllung, sondern um  das Sichbarwerden der opfernden und hel­fenden Liebe, die von Christus aussstrahlt und von uns gleich lebendigen Ikonen wiedergespiegelt werden soll.

 

Das Mysterion der Buße und der geistlichen Umkehr besiegelt die Abkehr von den Sünden und die Rückkehr des gerechtfertigten Sünders zu Gott. Es spendet eine tatsächliche gnadenhafte Vergebung und ermöglicht die Wiederaufnahme des Sünders in die Gemeinschaft der heiligen orthodoxen Kirche. Auch im Mysterion der Buße steht nicht der Gedanke von Strafe, sondern der der Heilung im Vordergrund. In der orthodoxen Tradition wird die Sünde vor allem als eine geistliche Erkrankung, die der barmherzigen Heilung durch Gottes Gnade bedarf, verstanden. Nicht der Gedanke eines Gerichthofes steht also im Mittelpunkt des orthodoxen Beichtverständnisses, sondern der eines Krankenhauses. Nicht Richter ist der Priester, sondern Arzt, der das Sakrament des Heilwerdens und der Wiedereingliederung des Sünders in die Kirche vollzieht.

 

Das Mysterion der Chirotonia (Handauflegung) spendet die in aufsteigender Fülle ausgeprägte Sendung und Vollmacht, im Namen Christi für die Gläubigenund ihr Seelenheil in der Kirche zu handeln. Durch den Empfang der Chrirotonia zu allen drei Weihestufen (Diakonat, Priestertum und Bischofsweihe) handelt der Geweihte nicht in eigener Person, sondern an der Stelle Christi, der in Seiner Kirche und ihren Sakramenten selbst tätig ist.

 

Das Mysterion der heiligen Ehe (Krönung) wird als Abbild der Verbindung Christi mit seiner Kirche aufgefasst und gilt auch in der orthodoxen Kirche als grundsätzlich unauflösbar. Dennoch sind unter bestimmten Voraussetzungen und Bußauflagen bis zu zwei Scheidungen und Wiederverheiratungen um der Barmherzigkeit mit der menschlichen Schwäche willen erlaubt.

 

Das Mysterion des Heiligen Öls schenkt nach orthodoxem Verständnisdem Gläubigen die Vergebung der Sünden und die gnadenhaft-sakramentale Dispositionierung zur Wiedererlangung der seelischen und körperlichen Gesundheit. Da die Sünde in der orthodoxen Kirche unter den Kategorien des Heilwerdens und der Heilung betrachtet wird, ist das Sakrament des Heiligen Öls nicht nur eine Krankensalbung, sondern wird, neben den ernsthaft Erkrankten, in der Großen und Heiligen Woche auch allen orthodoxen Christen zur Vergebung der Sünden und zum Heil der Seele und des Leibes gespendet.

 

 

 

Das Sakrament der heiligen Krankensalbung

 

Thomas Zmija

 

Das Sakrament des geheiligen Öles (griechisch: άγιον Ευχέλαιον, slavisch: Соборование oder Елеосвящение) oder die Krankensalbung ist nach orthodoxem Verständnis keine „Letzte Ölung", das heißt kein Sterbesakrament. Sie soll vielmehr der Wiedererlangung der Gesundheit des an Leib oder Seele Erkrankten dienen. 

 

Im Verständnis der Heiligen Väter ist die Sünde nicht in erster Linie ein Verletzen der Gebote eines darüber zürnenden Gottes, sondern unsere Sünden sind vor allem Selbstverletzungen unserer Seelen, die uns von Gott und unseren Mitmenschen trennen. Unsere Sünden haben also weit mehr als nur einen ethisch-moralischen Aspekt, denn sie stellen sich unsere ganze Person verwundend zwischen uns und Gott. Sie trennen uns und unsere Person von der Fülle des Lebens, der liebenden Gemeinschaft mit Gott und unseren Mitmenschen.

 

Dieses Sich-Entfernen von Gott durch die Sünden ist im negativen Sinn genauso real und unsere gesamte Existenz ergreifend, wie es im positiven Sinn unsere Hinwendung zu Gott, die in der Theosis ihren Zielpunkt findet, ist. Die Sünde zerstört unsere gesamte menschliche Persönlichkeit, ihre Auswirkungen greifen nicht nur unsere Seele, sondern ebenso unseren Geist und Körper an. In dem Maße, indem sich die Persönlichkeit eines Menschen in ein sündhaftes Leben verstrickt ist, steigert sich auch das Ausmaß der sündhaften Zerstörung seiner gesamten Persönlichkeit. Im geistlichen Bereich verliert der Mensch die Kontrolle über sich, er wird ein Sklave seiner Leidenschaften (= Laster). Solch ein Mensch verliert gleichsam geistlich seinen Verstand. Der heilige Metropolit Platon von Moskau fasst dieses bedauerliche Phänomen in die mahnenden Worte: „"In der Tat kommt das Laster nicht von ungefähr: ein Faulenzer schwächt seinen Körper und bürdet ihm Krankheiten auf, ein Wollüstiger verunstaltet sich selbst mit den Spuren des Lasters und verkürzt seines  Lebens Tage. Ein Habgieriger wird der Ruhe beraubt und trocknet sein inneres Leben aus. Ein Jähzorniger erhitzt sein Blut und nimmt durch unmäßige Aufregung Schaden an seiner Gesundheit."

 

Auch wenn wir uns selbst nicht in solch schwere Laster verstrickt haben, so ist doch jede Sünde, die wir begehen, ein Einfallstor für die Macht des Todes. Hier müssen wir ebenfalls die Funktionsweise unseres menschlichen Gewissens betrachten: Oft ist sich unser Gewissen der einzelnen Sünden, die wir begangen haben gar nicht voll bewusst. Das Gewissen eines Menschen ist nicht eine vorgegebene, sondern ausgeprägte Größe. Ob uns unser Gewissen ermahnt, ist uns zwar vorgeben, denn unser Gewissen ist eine Gabe Gottes. Wie stark es uns aber ermahnt, hängt von den  Wertmaßstäben ab, an denen wir unser Gewissen ausrichten. Es ist einem in Last und Bosheit verstrickten Menschen zwar nicht möglich, die Stimme seine Gewissens ganz zum Verstummen zu bringen, doch kann er die Lautstärke dieser Stimme stark „herunterregeln.“ 

 

Da das Gewissen eine sehr persönliche Orientierungsgröße im Inneren eines jeden Menschen ist, sind wir uns alle – ein Jeder und eine Jede - nicht vollkommen über unsere wirkliche geistliche Situation im Klaren. Mein langjähriger geistlicher Vater Erzpriester Ambrosius Backhaus sagte einmal, dass das mit dem Sündenbekenntnis in der Beichte eine ganz besondere Sache sei, denn oft wissen die Menschen nicht in vollem - das heißt bewussten - Umfang um ihre Sünden und oftmals vermögen die Beichtenden ihre Sünden auch nicht klar auszusprechen. Deshalb sagt der Priester bei der Absolution in der Heiligen Beichte. „… und so spreche ich unwürdiger Priester dich los von allen deinen Sünden...“

 

Wenn wir körperlich oder seelisch erkranken, so ist das nach orthodoxem Verständnis immer eine Folge unserer Sündenverhaftung. Damit ist jedoch nicht die Größe unserer Sündenschuld vor aller Welt ausgedrückt und darum sind kranke Menschen nicht etwa besonders sündhaft und haben jetzt die gerechten Folgen ihres verwerflichen Tuns zu tragen, wie es pharisäisch denkende, gedanken- und lieblose oder hochmütige Menschen, die es auch in der orthodoxen Kirche gibt, meinen mögen (vgl. Johannes 9:3). 

 

"Sei getrost, mein Sohn, deine Sünden sind dir vergeben" (Matthäus 9,2), so spricht unser Herr und Erlöser Jesus Christus zu dem Gelähmten, bevor er ihn heilt. Alle damals Anwesenden dachten zuerst an die Heilung des Mannes von seiner Krankheit und den damit verbunden Leiden, unser Herr und Erlöser Jesus Christus aber spricht zunächst von der Vergebung der Sünden, nicht damit sich die Heilung vollziehen, sondern damit sie dauerhaft wirksam werden kann.

 

Es ist unser Herr Jesus Christus, der uns Selbst auf diesen engen Zusammenhang von unseren  körperlichen und psychischen Erkrankungen und unserer Sündenschuld aufmerksam macht. Genau genommen stellt unser Herr Jesus Christus diesen Zusammenhang nicht erst her sondern Er verweist uns vielmehr daraufhin, dass dieser Zusammenhang seit der Ursünde bereits besteht. Er besteht seit dem Sündenfall, seitdem Adam und Eva im Garten Eden Gott ungehorsam wurden. Was kam zuerst - die Krankheit oder die Sünde? Die Heilige Schrift sagt: Die Sünde. Denn bis  dahin war die Schöpfung vollkommen. Nachdem Gott den Himmel und die Erde, die Pflanzen, die Tiere und den Menschen, das ganze Universum geschaffen hatte, sah Er, dass  alles sehr gut war. (vgl. 1. Mose 1:31) Es gab noch keinen Tod, und es gab noch keine Vorstufe zum Tod, keine Krankheit. Doch dann versündigten sich unser aller Urahnen Adam und Eva gegen Gott, und jetzt geschah das, was der heilige Paulus im Römerbrief so ausdrückt: „Durch einen einzigen Menschen - Adam - hielt die Sünde in der Welt Einzug und durch die Sünde der Tod, und auf diese Weise ist der Tod zu allen Menschen gekommen, denn alle haben gesündigt.“ (Römer 5:12) 

 

Sünde und Krankheit hängen also geistlich und existentiell zusammen. Das eine ist die Ursache, das andere die Folgewirkung. Ohne Sünden gäbe es keine einzige Krankheit. In Gottes neuer Welt, dem kommenden Eschaton, wenn die Sünde endgültig besiegt sein wird, wird niemand mehr erkranken: „Gott wird alle Tränen abwischen. Es wird keinen Tod mehr geben, kein Leid und keine Schmerzen“ (Apokalypse 21:4).

 

Da in der Kirche Christi als der Arche unseres Heiles, dieses neue Eschaton, das Aion der Herrschaft Jesu Christi, bereits angebrochen, bereits sakramental gegenwärtig ist, spricht die Kirche den reuigen Sündern nicht nur die Vergebung der Sünden (vgl. Lukas 5: 24 &  (Johannes 20: 21-23), sondern erbittet für sie ebenfalls von Gott auch die Befreiung von den Folgen der Sünden, die körperlichen und geistlichen Gebrechen im Vollzug des Sakramentes des heiligen Öles.

 

Dieses Mysterion Christi in Seiner Heiligen Kirche findet seine biblische Grundlage im Brief des heiligen Apostels Jakobus: „Ist jemand unter euch krank, so lasse er die Priester der Kirche zu sich rufen, und sie sollen über ihm beten und ihn im Namen des Herrn mit Öl salben; und das Gebet des Glaubens wird den Erkrankten erretten, und der Herr wird ihn aufstehen lassen, und wenn er eine Sünde getan hat, wird sie ihm vergeben werden" (Jakobus 5:14-15).

 

In vielen orthodoxen Gemeinden wird das Ölsakrament am Mittwoch der Heiligen und Hohen Woche für alle Gläubigen (1) vollzogen, da unsere Sünden eine Krankheit, ein Aussatz an unserer Seele sind, die der Heilung durch Christus, den Arzt unserer Seelen und Leiber bedarf. In dieser Feier des Sakramentes werden alle, die dazu herzutreten, nur einmal gesalbt.

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(1) In der rumänischen Tradition (z. B. in der rumänischen Kirche in Nürnberg) hat es sich offensichtlich eingebürgert, dass Ölsakrament öfter, ja sogar wöchentlich, für alle Gläubigen zu vollziehen.

 

Ansonsten wird der Nomokanon beachtet, der es verbietet das Ölsakrament an Gesunden zu vollziehen. In einem weiteren kanonischen Anordnung hat es die orthodoxe Kirche untersagt, dieses Mysterion bereits Verstorbenen zu spenden. Stirbt der Kranke während des Vollzuges des Sakramentes, so wird der Gottesdienst an dieser Stelle abgebrochen. Falls aber der Kranke nach Empfang des Sakramentes verstirbt, wird der Rest des geheiligen Öles und Weines kreuzweise über den zu Gott Entschlafenen gegossen. Ansonsten wird er in den Öllampen (Lampaden) verbrannt.

 

Nach orthodoxem Verständnis werden wir nicht allein, sondern in der Gemeinschaft der Kirche erlöst, das bedeutet, an Leib, Seele und Geist heil und geheiligt. Deshalb versteht die orthodoxe Kirche dieses Mysterion auch nicht allein als eine individuelle Seelentröstung, sondern als ein Sakrament, welches - wie alle übrigen Sakramente der Kirche - in besonderer Weise gemeinschaftsbezogen ist. Es wird deshalb in der Synaxis, der Versammlung der Kirche, vollzogen. Dies bedeutet, es  wird - wenn der Erkrankte sein Krankenlager verlassen kann - nicht zu Hause, sondern inmitten des versammelten Gottesvolkes von einer siebenköpfigen Priesterversammlung und im Kirchengebäude gespendet.

 

Diese Siebenzahl ist ein Hinweis auf die sieben Gaben des Heiligen Geistes (vgl. Galater 5:22). Auch geschieht das Sakrament in dieser Form in Hinblick auf die Auferweckung des Knaben der Sunamitin durch der heiligen Propheten Elisa (4 Κön 4,35), auf die Gebete des heiligen Propheten Elias auf dem Berg Karmel (3. Κönige 18:43) und das siebenmalige Untertauchens des aussätzigen Syrers Naaman im Fluss Jordan (4. Κönige5:14). So vollziehen sieben Priester das Sakrament. Es werden dabei sieben Lesungen aus dem Apostel und dem Evangelium vorgetragen. Es wird in sieben Fürbitten (Ektenien) Gott um Heilung des Erkrankten angefleht. In sieben Epiklese-Gebeten wird das Wirken des Heiligen Geistes am zu heiligenden Öl und Wein erfleht, damit das Sakrament dem Erkrankten zur Vergebung der Sünden und zur Heilung der Krankheiten und Gebrechen gereichen möge. Es werden sieben priesterliche Gebete gesprochen und der Kranke empfängt sieben Salbungen. 

 

Im Notfall kann die Krankensalbung auch durch nur einen Priester vollzogen werden. Dies ist in unserer Situation der orthodoxen Diaspora meist der Regelfall. Jedoch vollzieht auch der einzelne Priester das Mysterion im Namen der Heiligen Kirche und im Namen der Priesterversammlung.

 

Zu beachten ist ferner, dass zum Vollzug dieses Sakramentes nicht allein Öl gebraucht wird, sondern eine Mischung von Öl und Wein. Die verweist uns auf das Gleichnis vom barmherzigen Samariter (vgl. Lukas 10:25-37) der Wein und Öl in die Wunden des Verletzten goss. Nach orthodoxen Verständnis ist dieser barmherzige Samariter Christus selbst, der die Sündenschuld und gebrechen unseres Leibes und unserer Seele heilt.

 

Ferner stehen auf einem Tisch die Ikonen Christi und der Gottesgebärerin. Durch die heiligen Ikonen ist unser Herr und Erlöser Jesus Christus und die Allheilige Gottesgebärerin in unserer Mitte geistlich anwesend, denn als gläubige Orthodoxe blicken wir durch die heiligen Ikonen in den Himmel und Erfahren die Anwesenheit und Hilfe Gottes und Seiner Heiligen. Vor den Ikonen auf dem Tisch steht eine Schüssel mit Weizenkörnern In der Mitte befindet sich ein Glasgefäß, in welches im Verlauf des Gottesdienstes Öl und Wein gegossen werden. Der Weizen versinnbildlicht die Frucht des Lebens (vgl. Markus 4:1-20) und das Keimen des neuen Lebens aus dem Tode (vgl. Johannes 12:24; 1. Korinther 15:36-38). Das Öl, das zur Salbung verwendet wird, weist hin auf die Heilungen der Kranken, die die heiligen Apostel durch Ölsalbungen von Gott erwirkten (vgl.  Markus 6:13). Der Wein, der beigemischt wird, versinnbildlicht das Blut Christi, durch das am Kreuz unsere Sünden geheilt wurden. Die Mischung von Wein und Öl aber erfolgt, wie bereits erwähnt, in Nachahmung der Heilung des unter die Räuber Gefallenen (Lukas 10:34).

Der gesamte Gottesdienst zur Spendung des heiligen Mysterions der Krankensalbung gliedert sich in drei Teile: Am Anfang steht eine verkürzte Utrenja mit einem Kanon, slawisch Moleben oder  griechisch Paraklisis genannt. Der zweite Teil beginnt mit dem Eingießen von Öl und Wein in das Glasgefäß. Dann erfolgt die Heiligung des Öles mit einer Ektenie, einer ersten Epiklese und mit der Bitte um die Fürsprache der Heiligen, deren Tropare wir dabei singen. Der dritte Teil des Gottesdienstes hat sieben Teile. Dabei werden sieben Apostellesungen gelesen, sieben Evangelien verkündet, sieben Fürbitten (Ektenien) gesprochen, sieben priesterliche Gebete vorgetragen und sieben Salbungen vollzogen. 

 

Wenn wir den Inhalt dieser priesterlichen Gebete betrachten, so fällt auf, dass sie sich sowohl mit den Absolutionsgebeten in der Heiligen Beichte, wie auch mit den Kommunionsgebeten im inhaltlichen Gleichklang befinden. An der Formulierung dieser Gebete können wir auch die innige Verbindung zum gesamten Heilsgeschehen im Kommen Christi, wie es uns durch die heiligen Schriften überliefert ist, erkennen, denn es wird uns anhand von Beispielen aus den Heiligen Schriften unsere eigene Errettung aus den Sündenschulden sowie Gottes Vergebung deutlich vor Augen geführt. Zugleich wird in diesem Gebeten Gott gebeten, Er möge durch die Salbung am Erkrankten diesem Nachlass und Verzeihung seiner Verfehlungen und Sünden schenken.

 

 

Im sechsten priesterlichen Gebet wird die Heilung des Gelähmten angesprochen (vgl. Matthäus 9:1-8; Markus 2:1-12), dem unser Herr Jesus Christus  zuerst die Vergebung seiner Sünden zusprach, ehe Er dann auch sein körperliches Leiden heilte. Hierin wird der gesamte geistlich-sakramentale Sinn dieses Mysterions noch einmal verdeutlicht: Nicht unsere körperlichen oder seelischen Krankheiten, Leiden und Schwächen sind das eigentliche Grundübel, von denen wir Mensch als erstes befreit werden müssen, sondern das existentielle Grundübel für jeden Menschen  besteht in seiner Verhaftung an die Sünden und ihre lebenszerstörenden Folgen. Wo diese Befreiung erfolgt, da ist der Krankheit und dem Leiden des Menschen jener tödliche Stachel genommen und das Sakrament des Heiligen Öl hat seine befreiende Wirkung bereits vollbracht. Denn für uns orthodoxe Christen ist dieses irdische Leben nur ein Tor, ein Durchgang zum ewigen Leben bei Gott. Es ist eine Zeit der Vorbereitung auf unsere große Begegnung mit Gott in der  alle Tränen und Leiden weggewischt sein werden. In der Ewigkeit Gottes wird es keine Krankheit und keinen Tod mehr geben. Alles Leid und alle Schmerzen werden vergangen sein in der beseligenden alles erfüllenden Gemeinschaft mit dem HERRN, die Er jenen bereitet hat die IHN lieben.  (vgl. Apokalypse 21:4).