Der christlich-orthodoxe Glaube

 

 

Das Orthodoxe Glaubensbekenntnis

 

 

 

Ich glaube an den einen Gott, den Vater, den Allmächtigen, den Schöpfer des Himmels und der Erde, aller sichtbaren und unsichtbaren Dinge.

 

Und an den einen Herrn, Jesus Christus, Gottes eingeborenen Sohn, den aus dem Vater Geborenen vor aller Zeit. Licht vom Lichte, wahrer Gott vom wahren Gott, gezeugt, nicht geschaffen, eines Wesens mit dem Vater; durch ihn ist alles geschaffen.

 

Für uns Menschen und um unseres Heiles Willen ist er vom Himmel herabgestiegen, er hat Fleisch angenommen durch den Heiligen Geist aus Maria, der Jungfrau, und ist Mensch geworden.

 

Gekreuzigt wurde er für uns unter Pontius Pilatus und hat den Tod erlitten und ist begraben worden und ist auferstanden am dritten Tage gemäß der Schrift.

 

Er ist aufgefahren in den Himmel und sitzet zur Rechten des Vaters.

 

Er wird wiederkommen in Herrlichkeit, Gericht zu halten über Lebende und Tote, und seines Reiches wird kein Ende sein.

 

Ich glaube an den Heiligen Geist, den Herrn und Lebensspender, der vom Vater ausgeht. Er wird mit dem Vater und dem Sohne angebetet und verherrlicht. Er hat gesprochen durch die Propheten.

 

Ich glaube an die eine, heilige, katholische und apostolische Kirche.

 

Ich bekenne die eine Taufe zur Vergebung der Sünden.

 

Ich erwarte die Auferstehung der Toten und das Leben der

zukünftigen Welt. Amen.

 

 

 

Einige Erklärungen zum Glaubensbekenntnis

 

 

 

Gott, der Vater, ist der Schöpfer der Welt

 

1. Gott ist unser Vater: Als orthodoxer Christ glaube ich an einen Gott, der als Vater alles beherrscht, erhält und regiert, denn er hat freiwillig Himmel und Erde erschaffen, das heißt sowohl die sichtbare und materielle Welt, als auch die unsichtbare und geistige Welt.

 

Gott, der Sohn, ist der Retter der Welt

 

2. Der Gottmensch Jesus Christus: Ich glaube auch an einen Herrn, den Gottmenschen Jesus Christus, der der eingeborene Sohn des Gottvaters und der von ihm vor aller Zeit gezeugt worden ist; er ist wie sein Vater Licht. Er ist wahrer Gott, denn vom wahren Gott wurde er gezeugt. Er ist kein Geschöpf, wie einige Häretiker behaupten, sondern er ist aus der gleichen göttlichen Substanz wie der Vater und durch ihn, den Sohn Gottes, sind alle Dinge erschaffen worden. Er ist der Weg zu Gott, die Wahrheit und das Leben (Joh 14, 6).

 

3. Das Wort Gottes wurde Fleisch: Wegen seiner großen Menschenliebe und um uns Menschen vor Hölle, Sünde und verderblichen Leidenschaften zu erretten, stieg er, der er das Wort und der Sohn Gottes ist, bildlich gesprochen von seiner himmlischen Herrlichkeit herab und nahm Fleisch an durch die heilige Jungfrau Maria und den Heiligen Geist Gottes, nachdem die Zurüstungs- und Vorbereitungszeit für die Menschheit erfüllt war, wie der Apostel Paulus sagt. Gottes Wort, Gottes Sohn, wurde Gottmensch zur bestimmten Zeit und uns Menschen in allem ähnlich, jedoch ohne die Sünde.

 

4. Das Kreuz: Um unsertwillen wurde er gekreuzigt, litt und wurde als Mensch begraben, als Pontius Pilatus der römische Statthalter von Judäa war (26-36 n. Chr.). Er stieg hinab ins Totenreich, um einerseits das Reich des Todes, der Hölle und des Teufels aufzulösen, und um andererseits den Entschlafenen im Totenreich das Evangelium der Errettung zu predigen, damit er alle unter ihnen erlöse, die seine frohe Botschaft annehmen würden (1 Petr 3, 19).

 

5. Die Auferstehung: Er stand drei Tage nach seiner Beerdigung von den Toten auf, und erfüllte so die Heilige Schrift. Auf diese Art und Weise bewies er vollkommen seine Göttlichkeit und vollendete unsere Errettung, nachdem er die Macht der Sünde und des Todes für alle Menschen vernichtet hatte, die wahrhaftig an sein heiliges Evangelium glauben.

 

6. Die Himmelfahrt: Nach seiner Auferstehung erhob er sich wieder, mit seiner Seele und seinem verherrlichtem Leib, durch seine Kraft in den Himmel, und setzte sich zur Rechten Gottes, des Vaters. Von dieser Stellung aus beruft er und zieht alle Menschen zur Errettung, durch seine heilige Kirche.

 

7. Die zweite Wiederkunft Christi: Er wird zum zweiten Mal in die Welt kommen, zu dem Zeitpunkt den nur Gott kennt, in Herrlichkeit, um Lebende und Tote zu richten. Auf diese Weise wird er das Königreich Gottes vollenden, welches mit seiner ersten, demütigen Ankunft seinen Anfang nahm. Dieses Königreich wird kein Ende haben.

 

Gott, der Heilige Geist

 

8. Der Heilige Geist: Ich glaube auch an den Heiligen Geist, die dritte Person der Heiligen Dreieinheit, welcher Herrschaft und Macht hat. Er belebt die ganze Schöpfung und geht nur vom Vater aus. Weil er aber gleichsubstanziell mit dem Vater und dem Sohn ist, wird er mit ihnen im gleichen Range mitangebetet und mitverehrt. Durch den Heiligen Geist angeleitet vorhersagten die Propheten des Alten Testaments die Ankunft des Messias und bereiteten den Weg der Errettung vor.

 

Die Heilige Kirche

 

9. Die orthodoxe Kirche: Ich glaube auch an die eine Kirche, denn einer ist ihr Haupt, Christus, einer der Heilige Geist, der sie belebt und einer der Glaube ihrer Glieder. Sie ist heilig, denn ihr Begründer ist heilig. Sie ist allumfassend (katholisch), denn sie hat die Fülle der Wahrheit in rechtgläubiger Art und Weise, sie dehnt sich in die ganze Welt aus und wünscht alle Nationen und Völker in ihrem Schoße zu vereinen. Sie ist apostolisch, denn sie bewahrt die Lehre der Apostel

vollständig und unverfälscht, angeleitet durch den Heiligen Geist und wird von Bischöfen gehütet, welche durch gültige Handauflegung kanonisch geweiht wurden, und somit Nachfolger der Heiligen Aposteln sind.

 

10. Die Taufe: Ich bekenne, dass ich getauft werden muss, im Namen der Heiligen Dreieinheit (Vater, Sohn und Heiliger Geist), um ein Glied am Leibe Christi, der Heiligen Kirche zu werden. Mit nur einer und nicht wiederholbaren Taufe, wird dem Täufling die Vergebung der Erbsünde und der persönlichen Sünden gewährt.

 

Das ewige Leben

 

11. Die Auferstehung: Ich glaube und erwarte die allgemeine Auferstehung aller Toten. Dann wird jeder auferstandener Körper mit seiner unsterblichen Seele vereint sein. Die Auferstehung wird zusammen mit der zweiten Wiederkunft Christi geschehen.

 

12. Das ewige Leben: Nach der Auferstehung und dem endgültigen, allgemeinen Gericht über die Welt, erwarte ich von Gott gewürdigt zu werden, mich am zukünftigen ewigen Leben zu erfreuen, zusammen mit den heiligen Engeln und den gerechten Menschen. Amen.

 

 

Quelle: Russische Orthodoxe Kirchengemeinde des heiligen Prophet Elias in Stuttgart

 

 

Das Mysterium der Allheiligen Dreieinheit Gottes

 

Gott ist Einer im Wesen und Dreifach in den Personen (griechisch: Hypostasen). Das Dogma der Dreieinheit (griechisch: Αγία Τριάδα, russisch: Святая Троица, lateinisch: Santa Trinitate oder deutsch auch Dreifaltigkeit) ist das zweite grundlegende Dogma des Christentums. Eine ganze Reihe der großen Dogmen der Kirche sind unmittelbar darauf begründet, beginnend vor allen anderen mit dem Dogma unserer Erlösung. Aufgrund seiner besonderen Wichtigkeit begründet die Lehre von der Allheiligen Dreieinheit den Inhalt aller Glaubensbekenntnisse, welche Verwendung fanden oder noch in der Orthodoxen Kirche finden, genauso wie den der persönlichen Bekenntnisse des Glaubens, die zu verschiedenen Gelegenheiten von den Hirten der Kirche niedergeschrieben worden sind. Weil das Dogma der Dreieinheit das wichtigste aller christlichen Dogmen ist, ist es zugleich das für den begrenzten menschlichen Verstand am schwersten fassbare. So wird auch verständlich, warum in der Geschichte der frühen Kirche kein Kampf derart intensiv ausgefochten wurde wie jener um die damit verbundenen oder zusammenhängenden Wahrheiten. Das Dogma der Heiligen Dreieinheit umfasst zwei fundamentale Wahrheiten:

 

A. Gott ist Einer im Wesen, aber Dreifach in den Personen. Anders gesagt: Gott ist Drei-Einig, Drei-Hypostatisch, Er ist der Dreifaltige Eine im Wesen.

 

B. Die Hypostasen haben personale oder hypostatische Eigenschaften: Gott ist ungezeugt; der Sohn aber ist vom Vater gezeugt und der Heilige Geist geht vom Vater aus.

 

Wir beten die All-Heilige Dreieinheit in einer einzigen und untrennbaren Verherrlichung an. Bei den Kirchenvätern und in den Gottesdiensten wird die Dreieinheit oft als die Einheit in der Dreiheit, als eine Dreihypostatische Einheit bezeichnet. In den meisten Fällen, in denen Gebete an die eine Person der Heiligen Dreieinheit gerichtet sind, enden diese mit einer Doxologie an alle drei Personen (z.B. in einem Gebet an den Herrn Jesus Christus: „Denn Dir sei alle Ehre, zusammen mit Deinem unerschaffenen Vater und dem Allheiligen Geist, in die Ewigkeit der Ewigkeit. Amen.“).

 

In den Anrufungen der Allheiligen Dreieinheit wird diese von der Kirche im Singular, nicht in der Pluralform, angesprochen. Zum Beispiel: „Denn Dich (und nicht „Euch“) preisen alle himmlischen Mächte, und Dir (nicht „Euch“) senden wir die Verherrlichung empor, dem Vater, dem Sohn und dem Heiligen Geiste, jetzt und immerdar und in die Ewigkeit der Ewigkeit. Amen.“ 

 

Im Wissen um die mystische Natur dieses Dogmas sieht die Kirche Christi darin eine große Offenbarung, welche den christlichen Glauben unvergleichlich über jedes Bekenntnis eines einfachen Monotheismus stellt, wie man solchen in den nichtchristlichen Religionen findet. Das Dogma der drei Personen weist auf die Fülle des mystischen inneren Lebens in Gott hin, denn Gott ist Liebe und die Liebe Gottes kann sich nicht nur auf die von Ihm erschaffene Welt erstrecken, sondern diese Liebe ist auch auf das innergöttliche Leben selbst gerichtet.

 

Das Dogma der drei Personen weist umso klarer auf die Nähe Gottes zur Welt: Gott über uns, Gott mit uns, Gott in uns und in aller Schöpfung. Über uns ist der Vater, die ewig-fließende Quelle, wie dies in den Gebeten der Kirche zum Ausdruck kommt, die Grundlage alles Seins, der Vater der Barmherzigkeit, Der uns liebt und für uns, Seine Schöpfung, sorgt – denn wir sind der Gnade nach Seine Kinder.

 

Mit uns ist der Sohn, von Ihm gezeugt, Der um der göttlichen Liebe willen Selbst als Mensch für die Menschen erschienen ist, so dass wir mit unseren eigenen Augen erkennen und wissen, dass Gott in innigster Nähe zu uns ist – zusammen mit uns Teilhaber von Fleisch und Blut (Hebr 2,14) – auf allervollkommenste Weise.

 

In uns und in aller Schöpfung ist – durch Seine Kraft und Gnade – der Heilige Geist, Der alle Dinge erfüllt. Er ist der Spender des Lebens, der Lebens-Schöpfer, der Tröster, der Hort und die Quelle aller Güter.

 

Die Drei Göttlichen Personen, deren Dasein ewig und vor-ewig ist, erschienen der Welt in der Ankunft und der Inkarnation des Sohnes Gottes; sie Selbst sind „eine Macht, ein Wesen, eine Gottheit“ (Stichera zu Pfingsten, Doxologie zu „Herr, ich rufe zu Dir“). Da Gott in Seinem eigentlichen Wesen höchst bewusst in Seinen Gedanken und Seiner Selbst-Erkenntnis ist, so haben auch jede dieser drei ewigen Manifestationen Seiner Selbst als des Einen Gottes ein eigenes Selbst-Bewusstsein, und daher ist jede von Ihnen eine Person. Und diese Personen sind nicht einfach nur Formen oder isolierte Erscheinungen oder Eigenschaften oder Aktivitäten; eher ist es so, dass sie in der eigentlichen Einheit des Wesens Gottes enthalten sind.

 

Wenn wir daher in der christlichen Lehre von der Dreieinheit Gottes sprechen, so reden wir vom mystischen, inneren, in der Tiefe der Gottheit verborgen Leben, das sich der Welt in der Zeit offenbart: im Neuen Testament, dadurch, dass der Sohn vom Vater in die Welt herabgesandt wurde, und durch die Handlungen des wunderwirkenden, lebensspendenden und mit rettender Kraft versehenen Trösters, des Heiligen Geistes.

 

Quelle: Erzpriester Michail Pomazanskij, Orthodoxe dogmatische Theologie, München 2000, S. 68ff. 

 

 

Das Wort ward Fleisch –

Die Lehre der orthodoxen Kirche

über unseren Gott und Herrn und Erlöser Jesus Christus 

 

 

Wir orthodoxen Christen glauben, dass in Jesus Christus, der eingeborene Sohn Gottes, der Logos, Mensch geworden ist. Deshalb bezeichnen wir Orthodoxen die Allheilige Immerjungfrau Maria als Gottesgebärerin. Im Bekenntnis des Orthodoxen Glauben (Nizäno-Konstantinopolitanische Glaubensbekenntnis) bekennt wir vom Sohn Gottes: „..Für uns Menschen und zu unserem Heil ist Er von den Himmeln herabgekommen, hat Fleisch angenommen durch den Heiligen Geist von der Jungfrau Maria und ist Mensch geworden...". Als Mutter des menschgewordenen Sohnes Gottes ist Maria die Allheilige Gottesgebärerin. Das Driite Ökzmenische Konzil in Ephesus (431) erklärte hierzu, dass "der Emmanuel (Christus) in Wahrheit Gott ist und dass deswegen die heilige Jungfrau Gottesgebärerin ist - denn sie hat dem Fleische nach den aus Gott stammenden fleischgewordenen Logos geboren".

 

Das orthodoxe Bekenntnis von Maria als der Gottesgebärerin oder Mutter Gottes ist also primär ein christologisches Bekenntnis, das eine zentrale Aussage über die zwei Naturen in Jesus Christus - die göttliche und die menschliche - macht, die von Anfang Seiner irdischen Existenz an bestanden. Diese Vereinigung der menschlichen mit der göttlichen Natur wird „Hypostatische Union“ genannt. Die menschliche Mutter Maria empfing und gebar den Eingeborenen Sohn Gottes dem Fleisch nach. Aus dem Leib der Gottesgebärerin hat Er, der immer Gott war und auch bei Seiner Menschwerdung (Inkarnation) keiner Veränderung noch Schmälerung unterlag, unsere menschliche Natur angenommen. Nach Seinem Tode am Kreuz und Seiner glorreichen Auferstehung von den Toten nach drei Tagen hat Er bei Seiner Himmelfahrt unsere menschliche Natur zur Rechten Gottes des Vaters in die Himmel erhöht und dadurch allem Menschen den Weg zur Erlösung gebahnt (vgl. Basilius-Anaphora).

 

Maria ist also wahrhaftig die Mutter Gottes, das heißt, sie hat die zweite Person der Göttlichen Dreieinheit dem Fleische nach empfangen und geboren. Seiner göttlichen Natur nach wurde der Logos vor allen Zeiten aus Gott, dem Vater, gezeugt. Dies Bekennen wir im Orthodoxen Glaubensbekenntnis mit den Worten: „..Und an den einen Herrn Jesus Christus, Gottes Eingeborenen Sohn, den aus dem Vater Geborenen vor allen Zeiten: Gott von Gott, Licht von Licht, wahrer Gott vom wahren Gott, gezeugt, nicht geschaffen, eines Wesens mit dem Vater; durch Ihn ist alles geschaffen...“ Christus, Gott, ist wahrer Mensch und wahrer Gott. Er ist vor aller Zeit vom Vater geboren, Er, der allein mit dem Vater eines Thrones und eines Wesens ist, wie das Licht mit der Sonne, kam herab auf die Erde, suchte heim Sein Volk, ohne sich vom Vater zu trennen, und wurde Fleisch von einer reinen, unbefleckten Jungfrau, die von keinem Manne wusste. Nachdem Er eingegangen war in ihren Schoß, wie nur Er selbst es weiß, ging Er ebenso aus ihm hervor in beiden Naturen, der Gottheit und der Menschheit, als Einer der heiligsten Dreieinheit. Er zeigte auf Erden Göttliches nach der Gottheit und Menschliches nach der Menschheit. Denn als Mensch ließ Er den Leib Seiner Mutter wachsen und als Gott ging Er aus ihm hinaus, ohne ihre Jungfräulichkeit zu verletzen. Als Mensch empfing Er die Muttermilch und als Gott ließ Er die Engel bei sich singen: "Ehre sei Gott in der Höhe!" Als Mensch wurde Er in Windeln gewickelt und als Gott führte Er die Magier durch den Stern. Als Mensch wurde Er niedergelegt in der Krippe und als Gott empfing Er von den Magiern Gaben und Anbetung. Als Mensch floh Er nach Ägypten und als Gott verneigten sich vor Ihm die mit Händen gemachten ägyptischen Götzenbilder. Als Mensch von zwölf Jahren betrübte Er seine Eltern und als Gott musste Er im Hause Seines Vaters sein. Als Mensch kam Er zur Taufe und vor Ihm als Gott erschreckend wandte sich der Jordan zurück. Als Mensch entkleidete Er sich und trat in das Wasser und als Gott empfing Er vom Vater das Zeugnis: Dies ist Mein geliebter Sohn! Als Mensch fastete Er vierzig Tage, sodass ihn hungerte und als Gott besiegte Er den Versucher. Als Mensch ging Er zur Hochzeit nach Kana in Galiläa und als Gott verwandelte Er Wasser in Wein. Als Mensch schlief Er im Schiff und als Gott gebot Er den Winden, die Ihm gehorchten. Als Mensch weinte Er über Lazarus und als Gott erweckte Er ihn von den Toten. Als Mensch setzte Er sich auf ein Eselsfüllen und als Gott rief man Ihm zu: „Gepriesen sei, Der da kommt im Namen des Herrn!“ Als Mensch wurde Er gekreuzigt und als Gott ließ Er den mit Ihm Gekreuzigten aus eigener Vollmacht ins Paradies ein. Als Mensch kostete Er Essig und gab Seinen Geist auf und als Gott ließ Er die Sonne sich verfinstern und die Erde beben. Als Mensch wurde Er im Grabe niedergelegt und als Gott zerstörte Er den Hades, die Seelen befreiend. Als Mensch versiegelte man Ihn im Grabe und als Gott ging Er hinaus, das Siegel unverletzt bewahrend. Als Mensch widerfuhr Ihm, daß die Juden Seine Auferstehung zu verheimlichen suchten, indem sie die Wächter bestachen, als Gott aber wurde Er bekannt und erkannt von allen Enden der Erde“. Mit diesen Worten preist der heilige Metropoliten Ilarion von Kiev das Mysterion der zwei Naturen in Jesus Christus. Die zwei Naturen Christi sind ein Mysterium (griechisch: μυστήριον, slavisch: Таинство), denn die Tatsache ist dem menschlichen Verstand unerklärlich, der wissenschaftlichen Forschung unzugänglich, aber dem Glaubenden eine kostbare Erkenntnis! Es ist das Zentrum unserer Erlösung, so dass wir in Wahrheit nur ausrufen können: “Welcher Gott ist so groß wie unser Gott? Er ist Der Gott, der Wunder tut!“

 

Dieses Mysterium der Menschwerdung Gottes in Jesus Christus bekennen wir, wenn wir Maria die Gottesgebärerin nennen, denn wenn Maria Christus Seiner Menschheit nach geboren hat, so hat sie aufgrund der Einheit der Person auch Christus, den menschgewordenen Sohn Gottes, geboren. Maria hat dem vom Heiligen Geist empfangenen Gott und Menschen Jesus Christus ein menschliches Antlitz gegeben. Davon kündet uns schon der heilige Prophet Jesaja im Alten Testament , als er vorhersagend aussprach: „Darum wird euch der Herr von sich aus ein Zeichen geben: Seht, die Jungfrau wird ein Kind empfangen, sie wird einen Sohn gebären und sie wird Ihm den Namen Immanuel(Gott mit uns) geben“ (Jesaja 7:14). Dass sich diese Prophezeiung in den Geburt Jesu Christi erfüllt hat, sagt uns der heilige Apostel und Evangelist Matthäus (vgl. Matthäus 1:23). Dies beginnt mit der Verkündigung durch den Erzengel Gabriel, als die Allheilige Jungfrau vom Heiligen Geist empfing: „Da sagte der Engel zu ihr: Fürchte dich nicht, Maria; denn du hast bei Gott Gnade gefunden. Du wirst ein Kind empfangen, einen Sohn wirst du gebären: dem sollst du den Namen Jesus geben. Er wird groß sein und Sohn des Höchsten genannt werden. Gott, der Herr, wird ihm den Thron seines Vaters David geben. 33 Er wird über das Haus Jakob in Ewigkeit herrschen und seine Herrschaft wird kein Ende haben.  Maria sagte zu dem Engel: Wie soll das geschehen, da ich keinen Mann erkenne? Der Engel antwortete ihr: Der Heilige Geist wird über dich kommen, und die Kraft des Höchsten wird dich überschatten. Deshalb wird auch das Kind heilig und Sohn Gottes genannt werden“ (Lukas 1:30-35).

 

Dass das Zeugnis unserer heiligen Evangelien echt und zuverlässig ist, das heißt, dass es auf die Verkündigung des Heiles (das genau ist das Evangelium) und das Leben unseres Herrn Jesus Christus zurückgeht und diese Verkündigung und das Zeugnis über das Leben des Erlösers uns durch die Lehre der heiligen Apostel, die in der orthodoxen Kirche bis zum heutigen Tage treu bewahrt wurde, übermittelt wurde, belegen die zahlreichen Zeugnisse über ihre apostolische Herkunft, die  in den Werken der Heiligen Väter und Lehrer der ersten Jahrhunderte und sogar in einigen heidnischen Schriften jener Zeit zu finden sind.

 

Die ältesten Väter der Kirche lehren über die allheilige Gottesgebärerin und Immerjungfrau Maria bereits ebenso, wie es dem Zeugnis der Heiligen Schrift entspricht. Der heilige Ignatius der Gottesträger (Ignatius von Antiochien) sagt:„Denn unser Gott Jesus Christus wurde von Maria im Schoße getragen, gemäß dem Heilsratschluss Gottes aus dem Samen Davids zwar, jedoch vom Heiligen Geist (Epheser 18:2). Der heilige Irenäus von Lyon sagt: „Dieser Christus, der als Logos des Vaters beim Vater war, ...wurde von einer Jungfrau geboren" (Gegen die Häresien 53). Bereits der heilige Hippolyt von Rom verwendet in seiner „Traditio Apostolica“, die das apostolische Glaubensgut gegen Häretiker verteidigt, für die heilige Immerjungfrau Maria den Titel„Gottesgebärerin“ (Θεοτόκος). Auch der heilige Alexander von Alexandrien, der verhinderte, dass Arius den Bischofsstuhl von Alexandria einnahm, preist die Allheilige Immerjungfrau Maria als Gottesgebärerin. Der heilige Gregor von Nazianz fasst diesen wichtigen Punkt der christlichen Glaubensüberzeugung im Satz zusammen: „Wenn jemand die heilige Maria nicht als Gottesgebärerin anerkennt, ist er von der Gottheit getrennt" (Epistula 101, 4). 

 

Die Orthodoxe Kirche glaubt in Bezug auf den Heiland der Welt, was uns durch die heilige Apostolische Tradition übermittelt und dann in den Texten der Heiligen Schrift festgehalten wurde. Um die Klarheit und Exaktheit des rechten Glaubens zu bewahren, wurde dieser orthodoxe Glaube auf sieben ökumenischen Konzilien, die diesen wahrhaften christlichen Glauben gegen verschiedene falsche unchristliche Lehren (Häresien) verteidigten, bezeugt. Im Kern all dieser Häresien ging es zu allen Zeiten immer um eine Verdunkelung der Person und des Heilswirkens unseres Erlösers Jesus Christus:

 

Die erste dieser vom christlichen Glauben abweichenden Lehren trug Arius, ein alexandrinischer Priester, im  4. Jahrhundert in die Kirche hinein. Arius behauptete, dass unser Herr und Erlöser Jesus Christus Seiner Gottheit nach nicht eines Wesens mit Gott dem Vater sei, nicht vor aller Zeit aus dem Vater gezeugt, sondern gleich den Engeln erschaffen worden sei. Die heiligen Väter des Ersten Ökumenischen Konzil in Nikäa (im Jahre 325) bekannten den überlieferten orthodoxen Glauben und bekräftigten ihn mit direkten Zeugnissen aus den  heiligen Evangelien (besonders des Johannesevangeliums im 1. und 5. Kapitel). Sie bekannten die orthodoxe Lehre über die göttliche Wesenseinheit des inkarnierten Sohnes Gottes mit Gott dem Vater und sie formulierten diese Lehre ganz genau im 2. Glaubenssatz des Orthodoxen Glaubensbekenntnisses, das auf diesem Konzil (bis zum heutigen 8.  Glaubenssatz) formuliert wurde: „...An den einen Herrn Jesus Christus, Gottes Eingeborenen Sohn, den aus dem Vater Geborenen vor allen Zeiten: Gott von Gott, Licht von Licht, wahrer Gott vom wahren Gott, gezeugt, nicht geschaffen, eines Wesens mit dem Vater; durch Ihn ist alles geschaffen...“.

 

Es verging etwa ein Jahrhundert seit dem Ersten Ökumenischen Konzil, das den orthodoxen Glauben an die Gottheit des Erlösers, als den aus dem Heiligen Geist und der Jungfrau Maria Menschgewordenen, bekannt hatte, als erneut eine neue Häresie auftauchte. Nestorios, der damalige Patriarch von Konstantinopel, konnte nicht rechtgläubig erkennen, wie sich in Jesus Christus die Gottheit mit der Menschheit verbunden hatte. So brachte er geistliche Verwirrung in die Kirche Christi, indem er in falscher und unchristlicher Weise über die Vereinigung der göttlichen und menschlichen Natur in Jesus Christus lehrte. Nestorios wollte die Verbindung der göttlichen und menschlichen Natur in Form der Inspiration der alttestamentlichen Propheten durch den Heiligen Geist erklären. In ähnlicher Weise wie auf die heiligen Propheten zu einem gewissen Zeitpunkt der Heilige Geist herabkommen war, so meinte Nestorios, sei auch unser Herr Jesus als einfacher Mensch aus der Immerjungfrau Maria geboren worden und erst später habe der Logos, der Sohn Gottes, in Ihm Wohnung genommen. Für Nestorios war Jesus Christus ist deshalb nicht der Gottmensch, sondern nur der Gottesträger, also ein Mensch, der die Gottheit in Sich trägt, wie in einem Tempel, und die Jungfrau Maria ist deshalb nicht die Gottesgebärerin, sondern nur die Gebärerin des Menschen Jesus. Die Nestorianer bezeichnen die Allheilige Gottesgebärerin deshalb als "Christusgebärerin". (In ihrer Ablehnung der Verehrung der Allheiligen Gottesgebärerin sind die späteren Protestanten in einer gewissen Weise ebenfalls dem nestorianischen Irrtum anheimgefallen.) Im Jahre 431 wurde dann die Häresie des Nestorios auf dem Dritten Ökumenischen Konzil in Ephesus als mit den christlich-orthodoxen Glauben unvereinbar zurückgewiesen.

 

In einer Zeit, wo die Menschen kaum noch die Existenz einer Wahrheit, geschweige den der menschgewordenen Wahrheit Jesus Christus (vgl. Johannes 14:6) ertragen wollen, ist es schwierig in rechter und angemessener Weise über das Problem der Häresie ρεσις  = Wahl, Anschauung, Sekte) zu sprechen. Auch machen es Zeloten und fundamentalistische Fanatiker, die für sich die Orthodoxie exklusiv beanspruchen nicht einfacher, in christlicher Nächstenliebe (vgl. Matthäus 18, 21-35)

und zugleich in kirchlichem Geist (1. Korinther 1:10). Grundsätzlich können wir aber festhalten, dass das was aus einem Menschen einen Häretiker (αρεσις  = Wahl, Anschauung, Sekte) macht, ist nicht etwa das Nichtverstehen einzelner Aspekte der Mysterien des christlichen Glaubens ist, sondern in einem halsstarrigen und selbstherrlichen Festhalten an den falschen heterodoxen Ansichten besteht. Häretiker sind Menschen, die sich in ihren Hochmut und ihrer Arroganz von überlieferten heiligen Glauben und dem pneumatischen  Glaubensbewusstsein der Kirche nicht korrigieren lassen wollen. Aber auch das Nichtverstehen des christlichen Glaubens berechtigt am Ende keinen Christgläubigen dazu, sich selbstherrlich über die Worte Gottes in der Heiligen Schrift hinwegzusetzen und die Glaubenslehre der Kirche Christi zu entstellen. Beim rechtgläubigen Christentum bleibt derjenige, der sich am Glaubensbewusstsein der heiligen Kirche orientiert; der sich auch dort, wo er es (noch) nicht versteht, vom geistlichen Leben und der Glaubensverkündigung der orthodoxen Kirche leiten lässt.

 

Die Häresien sind im übrigen keine Phänomene einer weit zurückliegenden Vergangenheit. Auch heute finden die unchristlichen Lehren des Arius und des Nestorius ihre Anhänger, zum Beispiel wenn die modernen abendländische Bibelwissenschaften versuchen, einen Unterschied zwischen dem „historischen Jesus“ und dem „Christus des kirchlichen Glaubens“ zu konstruieren und ihn danach im Glaubensbewußtsein der Christen zu etablieren. So werden die Irrtümer eines Arius und Nestorios dann quasi in modernem Gewand erneut in das Glaubensleben der Christenheit erneut hinein getragen.

 

Bereits 20 Jahre nach dem Dritten Ökumenischen Konzil beunruhigte eine neue Irrlehre hinsichtlich der Person des Erlösers die Kirche. Diesmal handelte es sich um eine  den falschen Lehren des Nestorios entgegengesetzte Häresie. Wir bezeichnen die falsche Lehre über das Verhältnis von göttlicher und menschlicher Natur in Christus als monophysitische Irrlehre. In Konstantinopel hatte der Archimandrit Eutychios die grenzenlose Größe der göttlichen Natur Christi zu der von Ihm angenommenen menschlichen Natur in Vergleich gesetzt. Eutichios zeigte nun zwei weitere menschliche Leidenschaften, mit denen uns der Teufel und die Dämonen aus der Gemeinschaft der Kirche herausführen können: Den unvernünftigen Eifer und die  dünkelhafter Frömmigkeit des zelotischen Fundamentalisten.

 

Eutichios lehrte, dass in Christus Jesus die göttliche Natur kraft ihrer Unermesslichkeit Seine menschliche Natur vollkommen verschlungen habe. Er benutzt dafür das Bild eines Honigtropfens, der sich, wenn er ins  Meer fällt, vollkommen auflöst. Genauso habe die göttliche Natur in Christus Sein Menschsein aufgelöst. Daher wird dieses Lehre als monophysitische Häresie bezeichnet, lehrt sie doch am Ende nur die göttliche Natur in Christus. Auf dem Vierten Ökumenischen Konzil in Chalkedon wurde diese Lehre als mit dem christlich-orthodoxen Glauben unvereinbar zurück gewiesen. Denn die Heilige Schrift redet genau so klar über die Gottheit des Erlösers, wie über Seine vollkommene  Menschlichkeit. So verkündet uns die Heilige Schrift, dass Jesus Christus heranwuchs, erstarkte, und voll der Weisheit wurde (vgl. Lukas 2:40), dass Ihn dürstete (vgl. Johannes 19:28) und hungerte (vgl. Lukas 4:12), dass Er müde war (vgl. Johannes 4:6), dass er weinte (vgl. Johannes 19:28), dass Er litt. Auf diese echte, das heißt, vollkommene menschliche Natur Christi bezogen bereits die Heiligen Väter des Ersten Ökumenischen Konzils die Worte des Erlösers, dass der Vater größer als Er ist (vgl. Johannes 14:28), und dass Er die Zeit der zweiten Wiederkunft nicht kennt (vgl. Markus 13:32). Dies hätte alles so nicht sein können oder von Christus so nicht gesagt werden können, wenn sich die Menschliche Natur Christi vollkommen in Seiner Göttlichkeit aufgelöst hätte.

 

Während Eutichios die Vorhandensein der göttlichen und menschlichen Natur in Christus als ein Verschlungenwerdens des Menschen durch die Gottheit begreifen wollte, griffen die Heiligen Väter auf ein anders Bild zur Veranschaulichung der Göttlichkeit und Menschlichkeit in Christus zurück, nämlich den Vergleich mit dem Feuer und dem Eisen. Im Feuer kann sich das Eisen vollkommen dem Feuer angleichen, sozusagen feurig werden, aber es hört deshalb niemals auf, seinem Wesen nach Eisen zu sein. In Analogie hierzu kann auch von der menschlichen Natur und der Gottheit in Christus gesprochen werden. Dabei ist es wichtig festzuhalten, dass schon der heilige Kyrill von Alexandrien, der wegen seiner theologischen Klarheit und seiner fundierten Bibelauslegung zu den besonders wichtigen Heiligen Vätern zählt,  die Bedeutung der beiden vollkommenen Naturen in Christus dahingehend präzisiert hat, dass nur das, was in Christus angenommen wurde, auch von Ihm erlöst werden kann“. Dadurch, dass Christus zu unserer Erlösung eine  vollkommene, aber sündlose menschliche Natur aus der allheiligen Immerjungfrau und Gottesgebärerin Maria angenommen hat, wurde diese menschliche Natur  durch die vollkommene Gottheit Christus vergöttlicht. Durch Seine Auferstehung und Himmelfahrt sitzt Christus auch Seiner Menschlichkeit nach zur Rechten Gottes, des Vaters. Aber durch die Gemeinschaft mit der Gottheit hörte die menschliche Natur Christi nicht auf menschlich zu sein. Denn wenn in Christus die Menschlichkeit von Seiner Göttlichkeit verschlungen worden wäre, dann könnte Er als unser Erlöser nicht mit unseren Gebrechen mitleiden. Auch wir werden auf dem Weg der Theosis, der Vergöttlichung nicht in unserem menschlichen Personsein aufgehoben. Wir treten mit Gott in eine liebende Gemeinschaft, werden aber nur der Gnade nach vergöttlicht, nicht unserem menschlichen Wesen nach. Wir bleiben ganz Person und Mensch, erhalten aber der Gnade nach Anteil an den ungeschaffenen Energien Gottes. Wir werden mit hineingenommen in die Innergöttliche Liebesgemeinschaft des Vater und des Sohnes und des Heiligen Geistes.

 

Die Väter des Vierten Ökumenischen Konzils, welche den christlich-orthodoxen Glauben über das Mysterion der Vereinigung der göttlichen und menschlichen Naturen in Christus betrachten und deshalb die Irrlehre des Eutychios verurteilten, sagten, dass sich durch das Mysterion der Menschwerdung Christi die Gottheit und Menschheit in der einen Person des Erlösers unverschmolzen und unvermischt vereinigt haben. Die Menschlichkeit in Christus verschmolz nicht mit Seiner Göttlichkeit und veränderte sich nicht in ihrer Natur. Die Gottheit und Menschheit in Christus ist zugleich ungeteilt und ungeschieden. Die Göttlichkeit des Sohnes Gottes verband sich im Moment der Empfängnis der Allheiligen Gottesgebärerin durch den Heiligen Geist während der Verkündigung durch den Erzengel Gabriel und von jenem Augenblick an verbleiben die Gottheit und Menschheit in Christus in unzertrennlicher Einigung. Deshalb dürfen wir uns die Gottheit des Erlösers nicht gesondert von Seiner Menschlichkeit vorstellen.

 

Doch auch nachdem das Konzil von Chalkedon den orthodoxen Glauben  klar dargelegt hatte, blieben die Häresien des Nestorios und Eutychios in der Christenheit präsent. Die Kirche im sassanidischen Perserreich wandte sich den christologischen Lehren des Nestorius zu. Deshalb wurde auf dem Fünften Ökumenischen Konzil in Konstantinopel auch das Denken eines Theodor von Mopsuestia und Ivo von Edessa, der beiden theologischen Lehrer des Nestorius, verurteilt, da deren falsche Lehren die Grundlage des nestorianischen Gedankengutes bildeten.

 

Aber auch das monophysitische Denken hatte, auch wenn nicht in der Lehre des Eutychios, so doch in verschiedenen Nuancen seiner Grundgedanken, weite Teile der Christenheit ergriffen, so dass die bisherige kirchliche Einheit im römischen Reich zerbrach. Noch heute hängen die koptische Kirche Ägyptens, die aramäisch-syrische Kirche in Syrien und Indien, die Armenische Kirche und die Kirchen in Äthiopien und Eriträa diesem miaphysitischen Denken an. Dabei sagen die Theologen dieser altorientalischen Kirchen durchaus, dass sie mit den Orthodoxen die vollständige göttliche und vollständig menschliche Natur glauben wollten, aber nach der Theologie der miaphystitischen Kirchen wurden diese beiden Naturen bei der Inkarnation des Gottessohnes jedoch zu einer gottmenschlichen Natur vereinigt. Jedoch gäbe es dann nach der Menschwerdung des Gottessohnes in Jesus Christus keine vollständige göttliche und vollständig menschliche Natur mehr, sondern nur eine einzige gottmenschliche Natur. Dies stellt jedoch die Erlösung in Frage, da wir Menschen keine Gottmenschliche, sondern nur eine menschliche Natur besitzen. Die Väter des heiligen Berges Athos haben deshalb darauf hingewiesen, dass auch die miaphysitische Lehre eine Spielart des Monophysitismus darstellt und deshalb nicht einfach als andere theologisch-philosophische Ausdrucksform des einen orthodoxen Glaubens gewertet werden kann. So konnte trotz der vielversprechenden Gespräche zwischen der orthodoxen Kirche und den altorientalischen Kirchen die kirchliche Einheit bisher nicht wiederhergestellt werden. 

 

Auch der rhomäische Kaiser Heraklios versuchte Anfang des 7. Jahrhunderts mit einer Kompromissformel die Nestorianer und Monophysiten mit der orthodoxen Kirche zu versöhnen. Dazu erließ Heraklios ein Edikt, indem er gegen dem christlich-orthodoxen Glauben in Christus zwei Naturen aber nur einen Willen annehmen wollte. Diese Lehre wird als monotheletische Häresie bezeichnet. Die Heiligen Väter der orthodoxen Kirche wie der Heilige Maximos der Bekenner erkannten jedoch die in dieser Lehre liegende Abweichung vom christlichen Glauben. Denn wenn Christus außer Seinem göttlichen Willen nicht auch ein davon zu unterschiedlichen menschlichen Willen gehabt hätte, dann wäre Er kein wirklicher Mensch gewesen. Seine Leiden, die Er um der Erlösung der Menschen willen erlitt wäre nicht freiwillig gewesen und hätten deshalb auch keine erlösende Wirkung haben können. Das Wort Gottes in der Heiligen Schrift bezeugt uns aber ganz klar die freiwilligen Leiden des Heilandes ( vgl. Johannes 10:18). In besonders eindeutiger Weise kommt die Tatsache, dass unser Herr Jesus Christus nicht nur ein göttlichen Willen, sondern auch ein eigenständigen menschlichen Willen besaß, im Gebet Christi im Garten Gethsemane zum Ausdruck (vgl. Matthäus 26:39-44; Lukas 22:42). Damals betete der Herr zu Seinem Himmlischen Vater darum, dass Ihm die Leiden erspart bleiben mögen. An diesem Gebet des Herrn können wir erkennen, dass in Christus Sein göttlicher Wille von Seinem menschlichen Willen unterschieden werden muss. Aber der von dem göttlichen Willen zu unterscheidende menschliche Wille des Erlösers widersetzte sich dem Erlösungswillen von Christi Göttlichkeit nicht, denn in Christus Jesus war, als dem aus der Immerjungfrau Maria und dem Heiligen Geist Geborenen, im Gegensatz zu den übrigen Menschen keine Erbschuld. So ordnete sich Christi vollkommener menschlicher Wille dem das göttliche Heilshandeln ausführenden göttlichen Willen unter. Daher sagt Christus: "Aber nicht wie Ich will, sondern wie Du willst, nicht mein Wille, sondern der Deine geschehe."(vgl. Markus 14:36) Auf dem Sechsten Ökumenischen Konzil wurde dann die Lehre der Monotheleten als mit dem christlichen Glauben nicht vereinbar zurückgewiesen.

 

Auch der Ikonoklasmus ist nicht nur ein Angriff auf die Verehrung der heiligen Ikonen, des heiligen Kreuzes und der heiligen Reliquien, sondern im Kern seinews Denkens leugnet er gerade die wirkliche Menschwerdung des Sohnes Gottes in zwei Naturen. Im Grunde greifen die Argumente der Ikonoklasten die häretischen Argumente der Monophysiten über die eine göttliche Natur in Christus erneut auf. Während sich im byzantinischen Reich fast alle Bischöfe dem Ikonolasmus unterwarfen, verteidigte das römische Patriarchat und die übrigen Patriarchate des Ostens (Alexandrien, Aniochien und Jerusalem) die heilige Orthodoxie und damit den Glauben an die wirkliche Menschwerdung Gottes in Jesus Christus. Vor allem der heilige Johannes von Damaskus hat in seiner Darlegung des orthodoxen Glaubens nicht nur die Ikonenverehrung glänzend verteidigt, sondern auch ihre theologische Begründung in der Inkarnation des Gottessohnes klar aufgewiesen. Unter der heiligen Kaiserin Irene und dem heiligen Patriarchen Tarasios wurde der Ikonoklasmus auf dem Siebten Ökumenischen Konzil als mit dem christlichen Glauben unvereinbar zurückgewiesen.

 

Das Siebte Ökumenische Konzil ist auch ein gutes Beispiel dafür, wie die orthodoxe Kirche einer Häresie begegnet. Auf dem Konzil wurden zuerst die biblischen und patristischen Zeugnisse vorgelesen und die Horoi der ikonoklastischen Synoden solange gründlich wiederlegt, bis die ikonoklastisch gesinnten Bischöfe ihren Irrtum erkennen konnten, danach Buße taten und sich von ihren häretischen Auffassungen abwandten. Danach wurden sie wieder in die Gemeinschaft der orthodoxen Kirche aufgenommen (vgl. Hesekiel 33:11).

 

So bekennt die orthodoxe Kirche mit den Sieben Ökumenischen Konzilien die ganze Fülle des christlich-orthodoxen Glaubens: Unser Herr und Erlöser und Gott Jesus Christus ist wahrer und vollkommener Mensch und zugleich wahrer und vollkommener Gott. In Seiner Person sind die beiden Naturen, Sein göttliches und menschliches Wesen, unverschmolzen und unvermischt, ungeteilt und ungesondert in einer Person, der des Gottmenschen, vereint. Er besitzt einen vollkommenen menschlichen Willen, der Seinem göttlichen Willen nicht entgegensteht und nicht sündhaft ist, sondern diesem in allem folgt. Die menschliche Natur Jesu Christi ist unserer menschlichen Natur in allem ähnlich, außer dass sie weder an der Erbschuld Anteil hat, noch persönliche Sünden beging. Jesus Christus nahm in Seiner Göttlichkeit unsere menschliche Natur aus freiem Willen an und vereinigte in sich die göttliche und menschliche Natur zu einer vollkommenen Person, als Er Mensch wurde durch dem Heiligen Geist aus Maria der Jungfrau, die keinen Mann gekannt hatte, sondern eine Jungfrau war vor der Geburt, bei der Geburt und nach der Geburt. Deshalb nennen wir Orthodoxen die Allheilige Maria Immerjungfrau und Gottesgebärerin. So verkünden wir Orthodoxen Jesus Christus als den vollständigen Gott und den vollständigen Menschen und bekennen Ihn als unseren Gott und Erlöser und Herrn.

 

 

 

Der orthodoxe Glaube

 

 

Die Orthodoxe Kirche nennt sich selbst einfach die Kirche, genau so, wie in den Sprachen vieler orthodoxer Völker das Wort „Christen“ in dem Sinne gebraucht wird, dass es die Orthodoxen bezeichnet. 

 

Die Orthodoxe Kirche ist die organische Fortsetzung der Gemeinde (griechisch: εκκλησία (Ecclesia) = Versammlung, Kirche), die durch die Ausgießung des Heiligen Geistes an Pfingsten in Jerusalem von Christus selbst verheißen und gegründet worden war. Durch die Lehre und das Wirken der Apostel und ihrer Nachfolger der Bischöfe verbreitete sie sich schon in der Antike über den ganzen damals bekannten Erdkreis (das römische Reich), aber auch schon über dessen Grenzen hinaus ins sassanidische (persische) Reich (Mesopotamien im heutigen Irak), Armenien, Georgien und bis an die Westküste Indiens (Kerala). An vielen Orten, die schon im Neuen Testament erwähnt werden, ist die Orthodoxe Kirche bis heute präsent und dort auch stets dieselbe geblieben. So ist die Orthodoxe Kirche bis heute im Grunde auch nicht eine Konfession unter vielen anderen, sondern die direkte, ununterbrochene Fortsetzung der Kirche Christi seit den Zeiten der Apostel.

 

Die Lehre Christi, die zuerst nur durch die Predigt der Apostel in den Gemeinden verkündet und durch diese tradiert wurde, wurde erst später zu einem Teil in den Evangelien und Apostelbriefen schriftlich fixiert. Zu einem anderen Teil jedoch, wurde sie in der mündlichen Überlieferung der Kirche aufbewahrt. Hierbei handelt es sich vor allem um Anweisungen der Apostel, wie der christliche Glaube authentisch ausgedrückt und gelebt wird und wie der christliche Gottesdienst, vor allem die Göttliche Liturgie, zu feiern ist. Diese in den Gemeinden weiterzugeben und die heiligen Schriften auszulegen ist bis heute eine wichtige Aufgabe der Bischöfe als den Nachfolgern der Apostel (vgl.: Brief des heiligen Apostel Paulus an Titus & die Briefe des heiligen Ignatius von Antiochien und des heiligen Clemens von Rom). Beide Überlieferungswege, die Evangelien und Apostelbriefe und die mündlichen Überlieferungen der Apostel bilden eine untrennbare Einheit, die heilige Tradition. Sie wird seit der Zeit der Apostel im kirchlichen Bewusstsein treu bewahrt. 

 

Seit der Zeit der Apostel, als das Evangelium zu den verschiedenen Völkern mit ihrer unterschiedlichen Mentalität kam, wurde die heilige Tradition von allen Orthodoxen treu bewahrt, jedoch gab es seit den allerersten Anfängen der Kirche unterschiedliche Schwerpunktsetzungen, wie uns die Apostelbriefe und die Apostelgeschichte deutlich zeigen. Diese Akzentsetzungen im kirchlichen Leben haben sich bei den einzelnen orthodoxen Völkern über eine lange Periode hinweg entwickelt. So gewann das kirchliche Leben, bei der Übereinstimmung in allem, was für den Glauben und das Heil notwendig ist, immer reichere Ausdruckformen. So gibt es zwar diese unterschiedlichen Ausdrucksformen und Akzentsetzungen in der Frömmigkeit der einzelnen orthodoxen Völker, die aber den gemeinsamen kirchlichen Geist der Orthodoxie nicht verletzen.

 

So wie in Christus beides vereint ist, die göttliche und die menschliche Natur, so vereint auch die Kirche beides. Ihre menschliche Seite ist deshalb auch anfällig für Irrtümer, Schwächen und Fehler. Jedoch findet sie Zuversicht und Trost in der Verheißung Christi: „Ich will meine Kirche bauen, und die Pforten des Totenreiches werden sie nicht überwinden“ (Matthäus 16,18). Das bedeutet, dass die Stürme der Zeiten, auch wenn sie die menschliche Substanz der Kirche verwüsten mögen, doch nicht die Kirche selbst zerstören können. Die Kirche wird bestehen, bis die nächste Periode der Herrschaft Gottes über die Welt anbrechen wird durch die Wiederkunft Christi (griechisch παρουσία (parousia). Bis dahin wird die Kirche, die zu Pfingsten gegründet wurde, Bestand haben als Beschützerin der Wahrheit, indem sie die für sie charakteristischen Formen des apostolischen Priestertums, die heiligen Eucharistie und die anderen Sakramente sowie die gemeinsame Erfahrung der Kirche, ihre Überlieferung, treu bewahren wird.

 

Alle Orthodoxen Kirchen in den verschiedenen Teilen der Welt, die Orthodoxen Landeskirchen zusammen, bilden die Eine Heilige Orthodoxe Kirche. Deshalb sprechen wir in Bekenntnis des Orthodoxen Glaubens von der „Einen, Heiligen, Katholischen (das griechische Wort καθολικός (katholikós) bezeichnet die Kirche als allumfassend, über den gesamten Erdkreis ausgebreitet aber auch als allgemeine, das heißt rechtgläubige) und apostolische Kirche.

 

 

Die Orthodoxe Kirche ist also die Eine Kirche Christi. Diese Überzeugung der Orthodoxen gründet auf der treuen Bewahrung des urchristlichen Erbes in Glauben und Leben über alle Jahrhunderte hinweg. Dies kennzeichnet die Heilige Tradition, die allerdings nicht einfach als historisches, statistisches Element verstanden werden darf, sondern als ein dynamischer Faktor im geistlichen Leben der Kirche, also als die bewegende Gegenwart des Heiligen Geistes in ihr. Orthodoxie meint daher nicht einfach eine richtige theoretische oder philosophische Lehre, sondern den rechten Lobpreis Gottes, der sich im wahren Glauben, also im rechtgläubigen Gottesdienst und im sich durch die Teilnahme an ihm immer mehr vertiefenden geistlichen Leben des einzelnen Orthodoxen Christen ausdrückt. Orthodox zu sein bedeutet also eine besondere (die recht verstandene) Art christlich zu leben und eben nicht eine besondere Lebensphilosophie oder eine Möglichkeit, nationale Befindlichkeiten religiös auszudrücken oder zu überhöhen (diese Häresie nennt man Phyletismus oder Ethnophyletismus (von griechisch ἔθνος (éthnos) = Volk und φυλή (phylē) = Stamm). Er bezeichnet eine Irrlehre, die sich seit der Zeit des Nationalismus im 19. Jahrhundert unter den Orthodoxen verbreitete. Dabei werden die Prinzipien des Nationalismus auf die Kirche übertragen und der Orthodoxe Glaube wird dann vor allem als Ausdrucksmittel oder Träger nationaler Identität verstanden. Obwohl eine Synode in Konstantinopel 1872 den Phyletismus als Häresie verurteilt hat, setzten sich phyletistische Tendenzen bis heute fort. Sie führten dazu, dass der katholische (allumfassende) Charakter der Kirche verdunkelt oder geleugnet wird und die Orthodoxie zum religiösen Teil der Volkskultur oder zum Bestandteil der Folklore herabgewürdigt wird. 

 

Die orthodoxe Kirche versteht sich primär nicht als belehrende, sondern als betende, Gott verehrende Gemeinschaft. Sie will nicht soziologische Gruppe sein, kein Verein von Gläubigen, keine Institution, sondern eine um Christus versammelte und an Ihm teilhabende, sakramentale Gemeinschaft, in welcher der dreieinige Gott mit seiner erlösenden Menschenliebe gegenwärtig ist. Deshalb ist nach dem Orthodoxen Kirchenverständnis jede, sich um ihren Bischof als dem Repräsentanten Christi versammelnde Ortskirche in diesem Sinne die Orthodoxe Kirche Selbst. Ihre Mitte ist die heilige Eucharistie, die in der Feier der Göttlichen Liturgie gegenwärtig wird und an der wir durch die Teilnahme an der Kommunion teilhaben.

 

So ist der Bischof der Pfeiler der Kirche. Er ist Hirte seiner Diözese, ihr Lehrer, der die Lehre des Evangeliums Christi in Übereinstimmung mit der Gesamtheit der anderen Orthodoxen Ortskirchen verkündet und mit allen anderen, ihm an apostolischer Würde gleichrangigen Bischöfen in eucharistischer Gemeinschaft steht. Diese eucharistische Gemeinschaft der Bischöfe untereinander ist das Fundament der Einheit der Orthodoxen Kirche.

 

Die Struktur, Aufgliederung, und Verwaltung der Einen Orthodoxen Kirche kann man mit einem dezentralisierten System vergleichen. Die Eine Heilige Orthodoxe Kirche besteht aus einer Reihe selbständiger (sogenannter autokephaler) Ortskirchen (und nach dem Verständnis der orthodoxen Kirchenlehre eben nicht Nationalkirchen), die untereinander alle durch das gemeinsame Glaubensbekenntnis und die (weitestgehend) gleichen Gottesdienstformen in vielen unterschiedlichen liturgischen Sprachen verbunden sind. Prägend ist ihnen das Bewusstsein, zusammen die Eine, Heilige, Katholische und Apostolische Kirche zu bilden, von der im Bekenntnis des Glaubens die Rede ist. Auch das Synodikon des Siebten Ökumenischen Konzils beschreibt dieses Glaubensbewusstsein mit den Worten:

 

„Wie die Propheten sahen, wie die Apostel lehrten, wie die Kirche übernahm, wie die Lehrer bestimmten, wie die ganze Christenheit übereinstimmend glaubt, wie die Gnade leuchtet, wie die Wahrheit bewiesen wird, wie die Lüge abgestoßen wird, wie die Weisheit bekundete, wie Christus bestätigte, so glauben wir, so reden wir, so bekennen wir Christus unseren wahren Gott, und Seine Heiligen lobpreisen wir in Schriften, Gedanken, Opfern, Kirchen und Ikonen. Christus unseren Gott und Gebieter beten wir mit Ehrfurcht an, und Seinen Heiligen erweisen wir wegen des gemeinsamen Gebieters, die ihnen als Seine wahren Diener gebührende Verehrung.

 

Dies ist der Glaube der Apostel, dies ist der Glaube der Väter, dies ist der Glaube der Orthodoxen, dieser Glaube hat die Christenheit gefestigt. Die Prediger der Frömmigkeit verehren wir, brüderlich und liebevoll. Zur Ehre und zum Lob der Frömmigkeit um die sie kämpften preisen wir sie und sprechen: Den Vorkämpfern der Orthodoxie, den frommen Königen, den heiligen Patriarchen, Bischöfen, Kirchenlehrern, Märtyrern und Bekennern ewiges Gedenken. 

 

Lasset uns von den Heiligen erflehen, dass sie uns durch ihr Ringen um Frömmigkeit und ihre Lehren erbauen und in Gott festigen, damit wir treue Nachahmer ihrer Lebensführung werden, und dass die Gnade und das Erbarmen des Größten und Ersten Hohenpriesters, Christus, unseres wahren Gottes uns überschütte, auf die Fürbitten unserer hochgelobten und ruhmreichen Herrin, der Gottesgebärerin und Immerjungfrau Maria und der gottähnlichen Engel und aller Heiligen. Amen."

 

 

 

„Ich glaube an die Eine, Heilige, Katholische  und Apostolische Kirche“ - Über die vier Erkennungsmerkmale der Kirche Christi

 

„Ich glaube...“

 

Ehe ich zu glauben begonnen habe, hat GOTT an mich geglaubt, sonst hätte ER sich nicht am Kreuz im Sohne geopfert, um mich vor Sünde und Verdammnis zu erretten. Gäbe es keine Hoffnung für mich, wäre Sein Kreuzestod sinnlos gewesen. Er hat Seinen Glauben an mich mit Werken bewiesen. Auch ich soll meinen Glauben an IHN mit guten Werken bekräftigen. Ohne Werke ist mein Glaube tot (Jakobus 2: 14-20) , sagt uns unmissverständlich der heilige Apostel Jakobus. Ohne gute Werke ist mein "Glaube" wie eine diabolischen Ideologie, denn auch die Dämonen glauben an Gott, jedoch ohne die guten Werke zu tun, sagt uns der heilige Apostel. Also ist ein Glaube an Christus, der nicht die Frucht der guten Werke hervorbringt tot. Die guten Werke sind unsere notwendige gläubige Antwort auf das gnadenhafte Errettungshandeln Gottes. Gott bietet uns in Seiner grenzenlosen Liebe zu uns Menschen die Erlösung allein aus Seiner unermesslichen Gnade Gnade an. Doch wirkt die Erlösung Gottes nicht magisch an uns. Zu unserer Errettung, zur Vergöttlichung, sind unsere guten Werke der Frömmigkeit, des Gebetes und der Nächstenliebe notwendig, damit unsere Seelen gereinigt und wir mit der ungeschaffenen Gnade Gottes vereinigt werden. Unsere guten Werke sind deshalb der Schlüssel zur Erlangung des Heiles.

 

„...an die Eine...Kirche...“:

 

Die Heilige, Orthodoxe Kirche ist die Eine Kirche Jesu Christi, die ER, der Eingeborene Sohn Gottes, mit Seinem Blut erkauft hat (Apokalypse 5:  9).

 

Sie hat durch die apostolische Nachfolge ihrer Bischöfe (Sukzession) (Matthäus 28: 19, Johannes 17: 18-21; 1. Korinther 3: 10-11; Epheser 2:  20; Apokalypse 21: 14) das von unserem HERRN, ERLÖSER und GOTT JESUS CHRISTUS Selbst verkündete Evangelium durch den Lauf der Zeiten treu und rechtgläubig bewahrt, da Sie die von heiligen Apostel treu überlieferte und durch die Heiligen Väter der Orthodoxen Kirche unverfälscht (=rechtgläubig) bekannte Fülle des Heiligen Evangeliums Christi festgehalten hat (Johannes 14: 26; Apostelgeschichte 2: 42; 1. Timotheus 4: 6; 4, 16; 2. Timotheus 2: 2; 3: 10; 2. Johannes 9).

 

Als orthodoxe Christen glauben wir nicht an ein Buch, sondern an unseren Herr und Erlöser und Gott Jesus Christus, den LOGOS, Der das INKARNIERTE WORT GOTTES ist. Diesem Lebendigen Wort Gottes begegnen wir in Seiner Heiligen Kirche. Das lebendige Wort Gottes, Sein gnadenhaftes Heilshandeln an uns, erfahren wir durch die heiligen Mysterien (Sakramenten) der Orthodoxen Kirche. Wir vernehmen es in der gesamten Heiligen Tradition der Orthodoxen Kirche. Die Heiligen Schriften, die Gebete und Gottesdienste der Kirche und die vom Heiligen Geist geleiteten Auslegungen der Heiligen Väter; alle sind sie gemeinsam die unteilbare Heilige Orthodoxe Tradition. Diese bezeugt uns in ihrer Fülle, geleitet durch das Gnadenwirkungen des Heiligen Geistes, das FLEISCHGEWORDENE WORT GOTTES, JESUS CHRISTUS. Schließlich vermögen wir das Wort Gottes vermittels der Heiligen Ikonen auch mit unseren leiblichen Augen zu schauen und mit unseren geistlichen Augen, den Augen des Glauben erfüllten Geistes (Nous) zu erkennen. Auch der Gesang der Orthodoxen Kirche, das Kerzenlicht und der Weihrauch mit allen feierlichen Vollzügen der orthodoxen Liturgie bezeugen unseren geistlichen und leiblichen Sinnen die Wahre Gegenwart des Fleischgewordenen Wortes Gottes in Seiner Heiligen Kirche.

 

Seit dem Tage des Pfingstwunders in Jerusalem wirkt der Heilige Geist in der Orthodoxen Kirche und leitet sie in alle Wahrheit (Johannes 15: 26; 16: 13; Apostelgeschichte 2).

 

Jesus Christus ist das Haupt der Einen, Heiligen Kirche (Epheser 4: 15; 5, 23; Kolosser 1: 18; 2: 10). Die Heilige Orthodoxe Kirche ist Sein fortdauernder Leib auf Erden, der unteilbar ist (1. Korinther 12 ff; Epheser 1: 22-23; 4: 3-4; Kolosser 2: 18-19) .

 

"...an die...heilige... Kirche...“

 

Gott allein ist heilig (Sprüche 9: 10; Apokalypse 15: 4).

 

Die Heilige Orthodoxe Kirche, Christi im Mysterium (Sakrament) auf Erden fortdauender Leib, wird durch IHN geheiligt, gereinigt, genährt, geheilt und bekleidet (2. Mose 31: 13; 3. Mose 20:  8; Apostelgeschichte 26: 18; Hebräer 2: 11).

 

„Seid geheiligt, denn ICH bin heilig!“ (vgl. 3. Mose 19: 2), spricht unser HERR.

 

Da Gott heilig ist, sollen auch wir, Seine Kinder und Hausgenossen, heilig sein, durch Gottes ungeschaffene Gnade.

 

Christus Selbst ist die Quelle unserer Heiligung und der Tugenden, aus der wir, Seine Schafe, trinken (Johannes 4: 10; Apokalypse 7: 17).

 

„...an die... Katholische... Kirche...“

 

Das Wort „katholisch“ kommt aus dem Griechischen (καθολικός "katholikós") und bedeutet so viel wie „allumfassend“, „das Ganze betreffend“, allumfassend“, „sich überallhin erstreckend“.

 

Wenn wir also sagen, dass unsere Kirche orthodox und katholisch ist, meinen wir, dass unsere Kirche rechtgläubig ist und sich nach überall hin erstreckt.

 

Die Bedeutung von „die Katholische Kirche“ war also ursprünglich „die allgemeine, die allumfassende Kirche“, die von Christus gegründete, heilige Mutter Kirche: Sie ist „katholisch“ also „allgemein“, wegen der „Allgemeingültigkeit der von ihr verkündeten Lehre Christi“, die in ihr verkündet und bewahrt wird (Heiliger Cyrill von Jerusalem) und wegen ihrer Verbundenheit mit Christus, „denn da, wo Jesus Christus ist, ist auch die Katholische Kirche“ (Heiliger Ignatius der Gottesträger von Antiochien).

 

Diese ursprüngliche Bedeutung des Begriffs "Katholischen Kirche" war, daß die Orthodoxe Katholische Kirche auf den gesamten Erdkreis allgemein verbreitet ist und daß ihre Bischöfe in der Koinonia (das griechische Wort κοινωνία bedeutet Gemeinschaft oder Teilhabe) mit allen rechtgläubigen Bischöfe stehen. Deshalb bedeutet der kirchenslawische Ausdruck im Glaubensbekenntnis (Соборную "Sobornuju") ebenfalls gemeinschaftlich oder konziliar. Erst später wurde der Begriff "katholisch" zur Konfessionsbezeichnung der römischen Kirche. Im orthodoxen Glaubensverständnis der orthodoxen Christen, die bis heute nicht konfessionalistisch, sondern von der Gemeinschaft der einen Heiligen, Apostolischen Kirche Christi her denken,  ist die ursprüngliche Bedeutung des Begriffs "Katholisch" bis heute erhalten geblieben.

 

Infolge der Abspaltung des römischen Patriarchates von der Orthodoxen Kirche  bekam der Begriff "katholisch" mit der aufkommenden mittelalterlichen abendländischen Scholastik und dann endgültig mit der protestantischen Reformation im 16. Jahrhundert einen neuen konfessionell verengten Bedeutungsinhalt. Nun assoziieren viele Menschen das Wort „katholisch“ automatisch mit dem römisch-katholischen Glaubensbekenntnis und der Kirche der Päpste. Dies ist aber nicht die ursprüngliche Bedeutung dieses Wortes, das wir als Orthodoxe Christen im Glaubensbekenntnis bekennen. Wenn wir Orthodoxe Christen von der Katholischen Kirche reden und diese im Glaubensbekenntnis bekennen, meinen wir die Heilige Kirche als Versammlung aller erretteten Heiligen und Gerechten, angefangen von Abel, Henoch, Jakob, Elias und den anderen Heiligen des alten Bundes, bis hin zu den letzten Bekennern und Blutzeugen Christi, die kurz vor dem Weltende Christus bekennen werden. Die Katholische Kirche des Orthodoxen Glaubensbekenntnisses meint die Orthodoxe Kirche als eucharistische Versammlung all der Gläubigen, die Gott wohlgefällig sind und die Christus deshalb bei sich angenommen hat.

 

Die heutige römisch-katholische Kirche aber auch die evangelischen Glaubensgemeinschaften sind christliche Glaubensgruppierung, die nach ihrer Abspaltung von der Orthodoxen Kirche Sonderlehren eingeführt haben. Deshalb gibt es zwischen der Orthodoxen Kirche und ihnen keine eucharistische Gemeinschaft und die römisch-katholischen Bischöfe und der Papst stehen nicht mehr mit uns in Kirchengemeinschaft. Dennoch ist der Dialog mit unseren katholischen und evangelischen Mitchristen notwendig und und das Gebet für diese Christen wichtig, denn Christus will keine Spaltung unter den Christen und verabscheut jeden Fanatismus (Johannes 16: 2; 17. 11 17: 21-23; Apostelgeschichte 9: 4; 1. Korinther 11: 18).

 

Das Wesen der Kirche Christi ist ein Mysterion (sakramentales Geheimnis). Wir bekennen, das es nur EINE, von Christus Selbst gestiftete, HEILIGE ORTHODOXE KIRCHE gibt, die durch das Wirken des Heiligen Geistes im Rechten Glauben treu bewahrt bleibt. In ihr beschreiten die Orthodoxen Gläubigen durch den Empfang der Heiligen Mysterien, durch das Hören auf die verkündigte Fülle des Heiligen Evangeliums und durch ein kirchlich orientiertes Leben den Weg der Rechtgläubigkeit. Ein Weg der uns zu einer immer inniger werdenden Verbindung mit unserem HERRN JESUS CHRISTUS führt (Theosis).

Nun stellt sich die Frage: Wenn es nur Eine Heilige Orthodoxe Kirche Christi gibt, wie ist es dann um das Heil unserer Mitchristen bestellt, die nicht zur dieser Orthodoxen Kirche gehören?

Die Orthodoxe Kirche antwortet darauf wiederum mit dem Hinweis auf das Mysterion (Glaubensgeheimnis) der Heiligen Kirche. Wir wissen zwar, dass allein die Orthodoxe Kirche die Arche des Heiles ist, das heißt, wir wissen dass dort der beste Platz, sich als gläubiger Christ um die Erlangung des Heiles zu bemühen. Dort begegnen wir der pneumatischen Fülle des durch Christus und in Christus gestifteten und verkündeten Heiles. Insofern gilt der Satz des altlateinischen afrikanischen Theologen Tertullian, dass es außerhalb der Kirche kein Heil geben kann.

Zugleich aber ist das Mysterion der Heiligen Kirche überall dort gegenwärtig, wo der Heilige Geist mit Seinen ungeschaffenen Gnadengaben wirkt. Und dieser wirkt auch - zwar verhüllt, doch nicht minder geheimnisvoll gegenwärtig - an vielen der Christgläubigen, die außerhalb der sichtbaren Glaubensgemeinschaft mit und in der Orthodoxen Kirche stehen. Überall wo Menschen aus tiefstem Herzen an Jesus Christus glauben, wo sie Sein Heiliges Evangelium mit gläubigem Herzen hören und Seinem Göttlichen Willen in einem Leben der Nachfolge ernsthaft zu erfüllen suchen, ist das Mysterion (Sakramentale Glaubensgeheimnis) der Heiligen Kirche durch das Wirken der ungeschaffenen Gnadengaben des Heiligen Geistes gegenwärtig.

Aber es gibt unter den westlichen Christen heute einen weit verbreiteten Irrtum über das Wesen der Heiligen Kirche. Im Gefolge der protestantisch-reformatorischen Ecclesiologie glauben viele, es gebe so etwas wie eine Art "unsichtbare Kirche", eine Art "Baum der Christentümer", aus dem die verschiedenen christlichen Glaubensgemeinschaften gleich gleichberechtigten Zweigen im Laufe der Kirchengeschichte heraus gewachsen seien.

Aber entsprechend der Orthodoxen Ecclesiologie gewinnen die von der Heiligen Orthodoxen Kirche getrennten Christen vielmehr in dem Maße Anteil an den ungeschaffenen Gnadengaben des in der Kirche gegenwärtigen Heiligen Geistes, in dem ihr jeweiliger Glaube mit dem der Heiligen Orthodoxen Kirche übereinstimmt oder sich diesem zumindest annähert. Deshalb wissen wir als Orthodoxe Christen zwar wo das Evangelium Christi in Seiner umfassenden Fülle ist, versuchen aber nicht zu sagen, wo das Heil Gottes nicht ist. Zwar weiß die Heilige Orthodoxe Kirche um die Schaar der Heiligen Gottes und dass sie zu den von Gott Geliebten Erlösten gehören, aber sie maßt sich kein Urteil über die Größe der Barmherzigkeit und Menschenliebe Gottes an. Deshalb behauptet sie auch nicht zu wissen, wer nicht zu den Erlösten gehören kann. Für uns alle gilt im Übrigen die Warnung unseres HERRN JESUS CHRISTUS in Seinem Heiligen Evangelium, als ER zu uns über das Gleichnis vom Zöllner und Pharisäer sprach. Auch der Heilige Apostel Paulus sagt uns unmissverständlich: Und hätte ich allen Glauben, aber mir würde die (Nächsten-)Liebe fehlen, so wäre das Nichts (vgl.: 1. Korinther 13: 1–13).

Die Synaxis der Orthodoxen Kirchen hat auf dem Großen Konzil, das im Jahre 2016 auf Kreta stattgefundenen hat, das, durch die, seit dem 20. Jahrhundert stattfindenden ökumenischen Gespräche und Begegnungen mit den Christen des Westens, inzwischen gewachsene bessere Verständnis und Vertrauen untereinander in einem besonderen Dokument gewürdigt. Dies wird sicherlich in den kommenden Jahren zu einem erneuten, vertieften Nachdenken über das Mysterion der Heiligen Kirche führen.

Die gelungene Wiedervereinigung zwischen der Russischen Auslandskirche und dem Moskauer Patriarchat hat uns allen sicherlich noch einmal deutlich aufgezeigt, dass für die Überwindung eines Schismas in der Kirche zwei Komponenten wichtig sind: In erster Linie und für ein letztendliches Gelingen ist es wichtig, sich stets vor Augen zu halten, dass die Einheit in der Kirche nicht von uns Menschen "gemacht" werden kann. Kein noch so kluges theologisches Papier kann sie produzieren. Und es kann hier auch kein kirchenpolitisches "ökumenistisches" Taktieren, dass die Fülle unseres Heiligen Orthodoxen Glaubens verletzt, geben. Denn letztendlich wird die menschliche kirchenpolitische "Klugheit" uns nicht zum Ziel führen, da das Orthodoxe Glaubensbewusstsein, das in der Synaxis des gesamten Orthodoxen Volkes Gottes ruht, es dann als heterodox zurückweisen wird. Die Wiedererlangung der Einheit mit dem westlichen Teil der Christenheit (evangelische und katholischen Christenheit) und mit dem östlichen Teil der Christenheit (Alt- Orientalische Christenheit) ist und bleibt ein Geschenk des Heiligen Geistes. Sie entspringt Seinen, in der Heiligen Kirche wirkenden, ungeschaffenen Gnadengaben. Gleichzeitig aber, wie im gesamten geistlichen und kirchlichen Leben, setzt es unsere Synergeia, unser Zusammenwirken mit Gottes Willen voraus, der die Trennungen vom Leib Christi, Seiner Heiligen Kirche, nicht will. Insofern ist auch unser aller guter Wille zur Einheit und unser Gebet für die Wiedererlangung der Einheit unverzichtbar. So beten wir in der Anaphora der Liturgie des Heiligen Basilius: "...mache den Spaltungen in der Kirche ein baldiges Ende..."

 

 

„... an die... apostolische... Kirche...“:

 

Das Wort „Apostel“ kommt aus dem Griechischen (ἀπόστολος "apóstolos") und bedeutet „Gesandter“ oder „Sendbote“. Die Heiligen 12 Apostel wurden von Christus auserwählt und mit Seiner Gnade beschenkt und von Ihm ausgesandt, das Heilige Evangelium allen Völkern zu predigen, damit die Menschheit vor Sünden, Leidenschaften und der ewigen Verdammnis errettet werde (Matthäus 10; 28: 19-20; Lukas, 16: 13; Apostelgeschichte 9: 15; Galater 4: 4-5).

 

Noch zu Lebzeiten legten die Heiligen Apostel in den von Ihnen neu gegründeten Kirchen erprobten christlichen Männern die Hände auf und Weihte sie zu Bischöfen. Sie waren zu Lebzeiten der Apostel deren Stellvertreter in den jeweiligen ihre Leitung und Aufsicht unterstellten Gemeinden. Nach dem Tod der Apostel wurden die apostolische Aufgaben der Apostel auf ihre Nachfolger, die von den heiligen Aposteln geweihten Bischöfen, übertragen.

 

Diese Bischöfe übertrugen die Fülle der pneumatischen Gnadengaben und diesen apostolischen Auftrag wiederum auf ihre Nachfolger. Diese Abfolge der kanonisch geweihten Bischöfe nennen wir in der Orthodoxen, aber auch in der katholischen Kirche und den alt-orientalischen Kirchen die apostolische Nachfolge (Sukzession). Sie stellt, gegenüber den Glaubensgemeinschaften der aus der protestantischen Reformation hervorgegangenen Glaubensgemeinschaften bis heute eine besondere Nähe dieser Kirchen zur Orthodoxen Kirche her.

 

Ein weiterer Aspekt der kirchlichen Apostolizität ist die apostolische Lehre. Die ersten Christen verblieben in der Gemeinschaft (der Gläubigen (Die Bedeutung des Griechenwortes κοινωνία = Gemeinschaft und des entsprechenden slawischen Wortes Собо́рность verweisen darauf, dass hier die aus der Feier der Göttlichen Liturgie erwachsende brüderliche Liebesgemeinschaft der Christen gemeint ist, die für den würdigen Empfang der Heiligen Kommunion Voraussetzung ist.)) im Brechen des Brotes (der Heiligen Eucharistie) und in der Lehre der Apostel (Apostelgeschichte 2: 42).

 

Was ist die Lehre der Heiligen Apostel? Es ist die Gesamte Fülle der Heiligen Orthodoxen Tradition, also die gesamten Heiligen Schriften des Alten und des Neuen Testamentes und die apostolischen Anordnungen für das Gebet und den Gottesdienst und das geistige Leben und die Verwaltung der Heiligen Kirche. Aus den Anordnungen der Heiligen Apostel für das Gebet und den Gottesdienst entwickelte sich im Laufe der kommenden Jahrhunderte der heutige orthodoxe Gottesdienst und das orthodoxe Gebetbuch. Jedoch sind sie keine willkürlichen Neuschöpfungen sondern eine Entfaltung des uns durch die heiligen Apostel überlieferten Traditionsgutes. Vieles dabei geht wenn nicht auf die Anordnung Christi Selbst so doch auf Sein Vorbild und Beispiel zurück. So wüßten wir ihne das Zeugnis der Heiligen apostel nichts vom Gebet des Herrn, dem "Vater Unser". Das gleiche gilt für das Bezeichnen mit dem Zeichen des heiligen Kreuzes und die Gebete der Anaphora. Diese sind in allen apostolischen Liturgie-Gebeten enthalten.

 

Wenn wir das Bekenntnis des Orthodoxen Glaubens (Nicäno-Konstantinopolitanum) bei unseren Gebeten oder der Feier der Göttlichen Liturgie sprechen, bekennen wir uns mit diesen zusammenfassenden Worten zur Fülle des Evangeliums Christi, die uns in der Lehre der Heiligen Apostel durch den Beistand des Heiligen Geist mündlich und schriftlich überliefert wurde.

 

Diese apostolische Lehre nennen wir auch die Heilige Orthodoxe Tradition. Sie wurde durch die Erklärungen der Heiligen Orthodoxen Väter durch den Lauf der Jahrhunderte bis heute treu bewahrt und durch die Heiligen Sieben Ökumenischen Konzile und die lokalen Synoden unserer Orthodoxen Kirche immer mehr präzisierend ausgelegt und damit vor irrtümlichen Sonderlehren (Häresien) abgegrenzt. Die apostolische Nachfolge und Lehre bilden die Grundlage für das apostolische und Evangelistische Wirken der Kirche in der Welt.

 

„... Kirche.“

 

Das Wort Kirche bedeutet im Griechischen (ἐκκλησία  „Ekklesia“) „die Herausgerufene“. In der Antike meinte man damit eine Volksversammlung in der Stadt (Apostelgeschichte 19: 41). Wenn wir von der Kirche, der „Ekklesia“ sprechen, meinen wir die Gemeinschaft der Gläubigen, die durch den Geist Christi aus dieser Welt herausgerufen und die von Gott angenommen sind (Matthäus 16: 18; 1. Korinther 12: 28; Kolosser 1: 18).

 

Die Heilige Kirche ist aber nicht nur eine Versammlung (griechisch Σύναξις "Synaxis"; kirchenslawisch: Собор "Sobor") der Gläubigen, sondern ein gottmenschlicher Organismus, der von Gott geheiligt und ernährt und bewahrt wird.

 

Durch sie wird das Erlösungshandeln fortgesetzt, das uns Christus mit Seinem Opfertod und Seiner Auferstehung schenkte.

 

Der Heilige Augustinus spricht deshalb von der Kirche als einem „in die Ewigkeit verlängerte Christus“.

 

 

Das Filioque - Die Rolle des Heiligen Geistes

in West und Ost

 

Erzpriester Johannes Nothhaas (Mainz)

 

In der Lehre vom dreieinen Gott, gibt es einen Punkt, der die Orthodoxe Kirche von der westlichen Christenheit trennt. Es ist dies die Auffassung vom Ursprung des Heiligen Geistes. Während die orthodoxe Theologie am Wortlaut des Nizänischen Glaubensbekenntnisses von 381 nach Christus festhält, der besagt, dass der „Geist vom Vater ausgeht", hat die Kirche Roms nach anfänglichem Widerstreben den Zusatz „und vom Sohne"(ausgeht) anerkannt. Dieser kam aus Spanien und wurde von Karl dem Großen auf der Synode zu Aachen für das karolingische Reich eingeführt. In Rom selbst kam das "filioque" erst 1014 in den liturgischen Gebrauch.

 

So obskur und spitzfindig diese Frage erscheinen mag, so ist sie doch nicht ohne Bedeutung. Denn eine Veränderung im Herzen der Theologie - dies ist nun mal das Mysterium des dreieinen Gottes - bleibt nicht ohne gravierende Folgen und Erschütterungen im Leben und Glauben der Kirche.

 

 

Zunächst soll zu dieser Frage die Heilige Schrift und die Tradition der Kirche zu Wort kommen. - Im Johannesevangelium sagt Chri­stus: „Und ich will den Vater bitten, und er wird euch einen anderen Tröster geben" (Johannes 14:16). Wenn der Heilige Geist hier der andere Tröster genannt wird, dann ist der Rückschluss, dass Christus der eine und erste Tröster ist, zulässig. Damit steht die volle Gleichordnung beider göttlicher Personen fest.

 

In Johannes 15: 26 spricht Christus vorn Heiligen Geist, „...den ich euch senden werde vom Vater, der Geist der Wahrheit, der vom Vater ausgeht"Dies ist die entscheidende Stelle im Neuen Testament über den Ausgang des Heiligen Geistes, die nur den Vater als seinen Ursprung zulässt. Die Verbformen von „senden" und „ausgehen" bestätigen diese Aussage. Das Ausgehen steht in dieser Stelle im Präsens und geht damit dem Senden, das im Futur steht, voraus.

 

In gleicher Weise bestätigt der Kirchenvater Irenaus von Lyon die Johannesstelle, wenn er vom Sohn und vom Geist als den beiden Händen Gottes spricht (Adv. Haer. IV).

 

 

In dieser Tradition steht auch der Wortlaut des Nizäno-Konstantinopolitanischen Glaubensbekenntnisses ohne das "filioque", wie es auch vom Westen angenommen wurde. Somit zeigen die ersten vier Jahrhunderte eine einheitliche Tradition in der Lehre von der Dreieinheit Gottes. Erst durch das Aufkommen und die Anerkennung des "filioque" im Westen begann die theologische Abtrift Roms von der Tradition der Alten Kirche.

 

Zum tieferen Verständnis der Glaubensunterschiede in der Lehre vom dreieinen Gott: Sie enthält das Mysterium von Einheit und Verschiedenheit. Gott Vater, Sohn und Heiliger Geist sind „eines Wesens", und doch ist jede der drei Personen von den beiden anderen durch personale charakteristische Kenn­zeichen unterschieden. "Die Gottheit ist unteilbar in ihren Unterscheidungen" (Johannes Damascenus). Die Personen sind „vereint und doch nicht vermischt, unterschieden und doch nicht getrennt „ (Gregor von Naz.)

 

Wenn alle drei Personen unterschieden sind, was hält sie dann zusammen und macht ihre Einheit aus? Die Orthodoxe Kirche steht in der Tradition der Kappadozischen Väter, nach der die Einheit Gottes in der Monarchie des Vaters beruht. Die beiden anderen Personen haben ihre Herkunft aus dem Vater. Er ist der Ursprung, von keinem geboren, von keinem ausgehend. Der Sohn ist aus dem Vater geboren vor aller Zeit. Der Geist ist aus dem Vater hervorgegangen vor aller Zeit.

 

 

An dieser Stelle weicht die römisch-katholische Kirche von der Tradition der Alten Kirche ab. Nach ihr geht der Geist vom Vater „und vom Sohne" (filioque) aus. Der Vater ist nicht mehr das Band der Einheit, da der Sohn jetzt auch Ursprung ist. Rom begründet die Einheit Gottes mit seinem Wesen, also abstrakt, während die Orthodoxe Kirche sie personal begründet.

 

Was aber heißt, „der Geist geht aus dem Vater hervor" - Die Orthodoxe Kirche glaubt, dass Christus zwei Geburten hatte: eine ewige, vor aller Zeit und eine zeitliche, an einem bestimmten Punkt in der Geschichte. Er wurde aus dem Vater geboren „vor aller Zeit" und von der Jungfrau Maria damals in Bethlehem. In gleicher Weise muss eine klare Unterscheidung gemacht werden zwischen dem ewigen Hervorgehen des Geistes und seiner zeitlichen Mission. Ersteres betrifft die innergöttliche Beziehung, während zweite die Beziehung Gottes zur Schöpfung angeht.

 

Das Hervorgehen aus dem Vater ist das genuine Kennzeichen des Heiligen Geistes., während das Senden auch vom Sohn ausgesagt werden kann. Wenn die westliche Christenheit das Senden mit dem Hervorgehen des Geistes gleichsetzt, dann hat sie die innergöttlichen Beziehungen mit den zeitlichen Aktionen Gottes vermischt. - Ist damit nicht die Einheit der Gottheit, der eine Ursprung, gespalten in zwei unabhängige Ausgänge des Geistes "vom Vater und vom Sohn"? Ist nicht Gott dadurch in zwei Dyaden zerrissen? Wenn man zur Vermeidung dieser Spaltung sagt: Der Geist geht vom Vater und vom Sohn „gleichsam wie aus einem Prinzip hervor" (Wortlaut des Unionskonzils von Lyon 1274), vermischt man dann nicht die Personen? Hat man den Ditheismus vermieden und landet im Semi-Sabellianismus (Gott Vater, Sohn und Geist sind nur drei verschiedene Aspekte des einen Gottes)?

 

 

Die scholastische Theologie des Westens betont das Wesen Gottes auf Kosten der Personen. Gott wird so zu einem entfernten, unpersönlichen Begriff. Durch metaphysische Argumente wird versucht, ihn zu beweisen, ihn den Menschen wieder nahe zu bringen. Aber Gott ist nicht ein Gott der Philosophen, sondern der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs. Nicht durch Beweise, sondern durch Begegnung mit Ihm entsteht geistliches Leben.

 

Ein anderes Problem des filioque ist, dass man im Westen durch die liturgischen Vollzüge den Geist aus seiner Aufgabe verdrängt.

 

Er wird dem Sohn untergeordnet, wenn die Epiklese bei der Verwandlung der eucharistischen Gaben von Brot und Wein entfällt.

 

Orthodoxe Autoren sehen diese zwei Konsequenzen des filioque:

 

Überbetonung der Einheit Gottes und     

 

Unterordnung des Geistes.

 

Diese beiden Züge haben auch eine Veränderung der kirchlichen Struktur nach sich gezogen. An die Stelle des Geistes, der die Kirche durch die Konzilien, Synoden und insbesondere die Heiligen in alle Wahrheit führt, ist eine Zentralisierung der Hierarchie getreten.

 

In der orthodoxen Ikonographie thront der Geist als Vorsitzender des Konzils in dessen Mitte auf einem Thron mit dem Evangeliar.   Wie in der Auffassung von der Dreieinheit Gottes im Westen die Einheit auf Kosten der Verschiedenheit betont wird ,so geschieht es auch mit der Struktur der Kirche. Zwei verschiedene Auffassungen von der Dreieinheit Gottes führen zu zwei verschiedenen Ekklesiologien. Das "filioque" ist keine obskure Sophisterei, sondern Ursache zu handfesten Differenzen zwischen Ost und West.

 

 

 

Erklärung des orthodoxen Glaubensbekenntnisses

 

Heiliger Kyrill, Erzbischof und Papst von Alexandrien

 

Den geliebten und hochgeschätzten Presbytern Anastasius, Alexander, Martinianus, Johannes, Paregorius, dem Diakon Maximus und den übrigen orthodoxen Vätern der Mönche sowie allen, die mit euch ein Mönchsleben führen und im Glauben an Gott feststehen, sagt Cyrillus Gruß im Herrn.

 

Auch heute muß ich die Wißbegier und den Eifer eurer Liebe lebhaft anerkennen und allen Ruhmes wert erklären. Denn wer sollte das Interesse für die göttlichen Wissenschaften und das Streben nach richtigem Verständnis der heiligen Glaubenslehren nicht freudig begrüßen? Führt es doch dem ewigen und seligen Leben entgegen und sind diese Mühen ihres Lohnes sicher. Denn unser Herr Jesus Christus sagt einmal zu dem Vater und Gott im Himmel: „Das aber ist das ewige Leben, daß sie dich erkennen, den allein wahren Gott, und den du gesandt hast, Jesus Christus." (Johannes 17: 3)

 

Der rechte und unanfechtbare Glaube, der begleitet ist von dem Glanze guter Werke, bereichert uns ja mit allem Guten und beweist, daß wir ausgezeichnete Herrlichkeit erlangt haben. Entbehrt jedoch die Vortrefflichkeit des Tuns der rechten Lehranschauungen und des untadeligen Glaubens, so kann sie der Seele des Menschen, wie ich glaube, keinerlei Nutzen bringen. Denn wie „der Glaube ohne die Werke tot ist" (Jakobus 2: 26.), so ist, behaupten wir, auch das Umgekehrte wahr. In Verbindung mit dem Ruhme eines guten Lebens soll also auch die Makellosigkeit im Glauben ihre Strahlen aussenden. So erst werden wir allen Anforderungen entsprechen gemäß dem Gesetze des allweisen Moses; „Denn du sollst vollkommen sein", sagt er, „vor dem Herrn deinem Gott.“(Deuteronomium 18: 13.). Diejenigen aber, welche die Regeln eines lobenswerten Wandels innehalten, aus Unwissenheit jedoch auf den Besitz des rechten Glaubens wenig Gewicht legen, gleichen gewissermaßen den Leuten, die ein ansprechendes Äußere haben, jedoch einen irren und wirren Blick der Augen, so daß auf sie das Wort Anwendung findet, welches Gott durch den Mund des Jeremias an die Mutter der Juden, ich meine an Jerusalem, richtete: „Siehe, deine Augen und dein Herz sind nicht schön." (Jeremias 22: 17.).

 

Ihr müsst also vor allem einen gesunden Geist in euch haben und der Heiligen Schrift eingedenk sein, die da spricht und mahnt: „Deine Augen sollen das Rechte schauen.“ (Sprichwörter 4: 25.). Einen geraden Blick der im Innern verborgenen Augen haben aber heißt scharf und, soweit es möglich ist, durchdringend die Lehren würdigen können, wie sie etwa über Gott vorgetragen werden. Wir „sehen ja durch einen Spiegel und in rätselhafter Weise und erkennen nur stückweise“ (1 Korinther 13: 12.), der aber, „der aus der Finsternis Geheimnisvolles entschleiert" (Hiob 12: 22.), gießt das Licht der Wahrheit denen ein, die recht über ihn unterrichtet sein wollen. Wir müssen uns daher vor Gott niederwerfen und sprechen: „Erleuchte meine Augen, daß ich nicht etwa entschlafe zum Tode!"(Psalm 12: 4.). Denn des rechten Verständnisses der heiligen Glaubenslehren verlustig gehen, würde nichts anderes sein als ein offenbares Entschlafen zum Tode. Wir verlieren aber das rechte Verständnis, wenn wir uns, statt den gotteingegebenen Schriften zu folgen, von tadelnswerten Mutmaßungen leiten oder durch den Anschluß an gewisse Leute, welche einen falschen Weg in Glaubenssachen wandeln, das Urteil unseres Verstandes beeinflussen und damit vor allem unsere Seele zu Schaden kommen lassen.

 

Demnach müssen wir auf solche hören, welche dem rechten Sinn des Glaubens nachforschen nach Maßgabe der heiligen Predigt, wie diejenigen sie uns durch den Heiligen Geist überliefert haben, „die von Anfang an Augenzeugen und Diener des Wortes geworden sind" (Lukas 1: 2.). In ihre Fußtapfen zu treten, befleißigten sich unsere berühmten Väter, die da das ehrwürdige und ökumenische Glaubenssymbol aufgestellt haben, als sie seinerzeit zu Nizäa zusammengetreten waren. Christus selbst war Teilnehmer dieser Versammlung, er, der gesagt hat: „Wo immer zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen."(Matthäus 18: 20.). Wie könnte man bezweifeln, daß Christus selbst unsichtbarer Weise Vorsitzender jener heiligen und großen Versammlung war? Mit dem Bekenntnisse des lautern und unverfälschten Glaubens wurde ja für die Menschen auf dem ganzen Erdkreis gleichsam eine Basis und ein unzerstörbares und unerschütterliches Fundament gelegt. Wie soll da Christus fern gewesen sein, da er doch selbst das Fundament ist nach dem Satze des hochweisen Paulus: „Ein anderes Fundament kann niemand legen als das, was schon gelegt ist, nämlich Jesus Christus."(1.Korinther 3: 11.). Der von ihnen dargelegte und festgelegte Glaube ist denn auch unverbrüchlich gewahrt worden von den späteren heiligen Vätern und Hirten der Völker und Leuchten der Kirchen und den hervorragendsten Lehrmeistern. Auch finden wir, daß in den Bekenntnissen oder Darlegungen der Väter über den rechten und unverdorbenen Glauben schlechterdings nichts ausgelassen oder übersehen worden ist von allem dem, was dienlich sein kann, sei es zur Überführung oder Widerlegung irgendwelcher Häresie oder gottlosen Frechheit, sei es zur Stärkung und Festigung derer, die den rechten Weg im Glauben wandeln, denen der strahlende Morgenstern aufgegangen und „der Tag angebrochen ist" (2. Petrus 1: 19.), nach den Schriften, denen die Gnade der heiligen Taufe das Licht der Wahrheit eingießt.

 

Da aber eure Gottesfurcht geschrieben hat, dass gewisse Leute das Symbol zu falschen Deutungen mißbrauchen, weil sie entweder den Sinn seiner Worte nicht recht verstehen oder auch durch Einwirkung der Schriften gewisser Leute sich zu falschen Auffassungen verleiten lassen, und daß auch ich über diese Dinge zu euch reden und euch eine zutreffende Erklärung geben müsse, so habe ich geglaubt, das, was sich mir aufdrängte, in Kürze vortragen zu sollen. Allenthalben jedoch werden wir den Bekenntnissen und Lehren der heiligen Väter folgen, indem wir das von ihnen Gesagte genau und unvoreingenommen zu Rate ziehen. Es hat ja auch schon die heilige Synode, ich meine diejenige, die nach Gottes Willen zu Ephesus versammelt war und gegen die Falsch Lehre des Nestorius ihr frommes und zutreffendes Urteil abgab, mit ihm zugleich alle andern, die etwa nach ihm auftreten würden oder auch schon vor ihm aufgetreten sind, wenn sie ebenso wie er zu denken und zu sprechen oder zu schreiben wagen, verurteilt und mit der gleichen Strafe belegt. Es war eben folgerichtig, wenn einmal einer wegen so verruchter Schwätzereien verdammt wurde, nicht nur gegen diesen einen einzuschreiten, sondern gegen ihre Häresie überhaupt oder gegen die Verleumdung, deren sie sich den frommen Glaubenslehren der Kirche gegenüber schuldig gemacht haben, indem sie zwei Söhne predigten und den Unteilbaren auseinanderrissen und gegen Himmel und Erde die Anklage der Menschenanbetung schleuderten. Denn im Vereine mit uns betet die ganze heilige Schar der obern Geister den einen Herrn Jesus Christus an.

 

Damit indessen der Inhalt des Symbols, welches in allen heiligen Kirchen Gottes Geltung hat und verkündet worden ist, nicht doch bei einigen unbekannt bleibe, habe ich die Lehren oder Darlegungen der heiligen Väter in die hier vorliegende Erklärung aufgenommen, damit die Leser wissen, in welcher Weise die Darlegung der heiligen Väter oder das lautere Symbol des rechten Glaubens aufzufassen ist... Nachdem ich nunmehr, wie gesagt, das Symbol selbst im Wortlaute angeführt, werde ich mich mit Gottes Hilfe den einzelnen Sätzen desselben zuwenden, um sie deutlich zu erklären. Ich weiß ja wohl, daß der allgefeierte Petrus geschrieben hat: „Immer bereit zur Verteidigung gegen jeden, der Rechenschaft von euch fordert über die in euch lebende Hoffnung."(1. Petrus 3: 15.).

 

 

„Wir glauben an einen Gott, den allmächtigen Vater, Schöpfer aller sichtbaren und unsichtbaren Dinge, und an einen Herrn Jesus Christus, den Sohn Gottes, als Eingeborener gezeugt aus dem Vater, das heißt aus dem Wesen desselben, Gott von Gott, Licht vom Lichte, wahrer Gott vom wahren Gott, gezeugt, nicht gemacht, wesenseins mit dem Vater, durch den alles geworden ist, was im Himmel und was auf Erden ist, der um uns Menschen und um unseres Heiles willen herabgestiegen und Fleisch und Mensch geworden ist, gelitten hat und am dritten Tage auferstanden ist, aufgefahren zu den Himmeln und kommend zu richten die Lebenden und die Toten, und an den Heiligen Geist. Diejenigen aber, die da sagen, es habe eine Zeit gegeben, da der Sohn Gottes nicht war, und er sei nicht gewesen, bevor er gezeugt wurde, und er sei aus nichts geworden oder aus einer andern Substanz oder Wesenheit, oder er sei wandelbar oder veränderlich, diese anathematisiert die apostolische und katholische Kirche."

 

Sie erklären, an einen Gott zu glauben, und erschüttern damit gleichsam von Grund aus die Anschauungen der Heiden, die, „während sie prahlten, Weise zu sein, Toren geworden sind und die Herrlichkeit des unvergänglichen Gottes vertauscht haben mit der Gestalt eines Bildes von einem vergänglichen Menschen und von Vögeln und von vierfüßigen und kriechenden Tieren."(Römer 1: 22 f.). Sie „haben das Geschöpf angebetet mit Umgehung des Schöpfers" (Römer 1: 25.) und den Elementen der Welt gedient und viele, ja unzählige Götter aufgestellt. Zur Zerstörung dieses polytheistischen Irrwahns also sprechen die Väter von einem Gott, ganz und gar den heiligen Schriften folgend und den Menschen auf dem ganzen Erdkreis den Glanz der Wahrheit vorhaltend. Eben dies tat auch der allweise Moses, da er so klar wie möglich sprach: „Höre, Israel, der Herr dein Gott ist einziger Herr."(Deuteronomium 6: 4.). Und der Urheber und Herrscher des Weltalls selbst spricht: „Du sollst keine andern Götter haben außer mir.“(Exodus 20: 3.). Und ebenso auch durch den Mund der heiligen Propheten: „Ich bin der Erste und ich bin der Spätere, und außer mir gibt es keinen."(Jesaja 44: 6.). Sehr mit Recht haben daher die allberühmten Väter erklärt, an einen Gott zu glauben, um als notwendige Grundlage für den Glauben die Wahrheit festzustellen, daß von Natur aus und in Wahrheit ein Gott und nur ein Gott ist.

 

Sie nennen ihn den allmächtigen Vater, und mit dem Worte „Vater" weisen sie auf den mit ihm existierenden und immer bei ihm seienden Sohn hin, um dessentwillen er Vater ist. Denn er ist nicht erst im Laufe der Zeit Vater geworden, sondern war immer, was er ist, nämlich Vater, erhaben über alles Gewordene und in den höchsten Höhen thronend. Die Gewalt und Herrschaft über das Weltall verleiht ihm eben eine so hell strahlende und unvergleichliche Herrlichkeit.

 

Von ihm, sagen die Väter, ist alles erschaffen worden, was in den Himmeln und was auf Erden ist, damit auch daraus der Abstand zwischen ihm und jedwedem Geschöpfe erhelle. Denn es besteht eine unausgleichbare Verschiedenheit zwischen dem Schöpfer und dem Geschöpfe, dem Ungewordenen und dem Gewordenen, zwischen der im Joche gehenden Natur und ihrer Knechtschaft und der in Herrscherhoheit leuchtenden Natur, die göttliche und überweltliche Herrlichkeit besitzt.

 

Indem sie sodann des Sohnes gedenken, wollen sie vor allem der Meinung vorbeugen, als ob sie ihm mit dem Worte „Sohn" einen gewöhnlichen Namen zuwiesen, der in gleicher Weise auch uns beigelegt werden könnte — denn auch wir sind Söhne geheißen worden —, und fügen deshalb sehr verständiger Weise Zusätze bei, aus welchen die ihm innewohnende natürliche Erhabenheit über jedwedes Geschöpf zu ersehen ist. Er ist, sagen sie, gezeugt und nicht gemacht, um damit, dass er nicht gemacht ist, hervorzuheben, dass er seinem Wesen nach nicht auf eine Stufe mit dem Geschöpf gestellt werden darf, und vielmehr zu erklären, dass er vor aller Zeit und auf unbegreifliche Weise aus dem Wesen Gottes und des Vaters hervorgegangen ist. Denn „das Wort war im Anfang" (Johannes 1: 1.). Des weitern stellen sie ausdrücklich die Vollwertigkeit der Zeugung und Geburt fest — nach Menschenart soll so gesprochen werden aus Nützlichkeitsgründen —, indem sie sagen, daß der Sohn gezeugt ist als Gott von Gott. Denn wo es sich um eine schlechthin wahre Abkunft handelt, ergibt sich sofort die Notwendigkeit, anzunehmen und zu behaupten, daß das Erzeugte dem Wesen des Erzeugers nicht fremd, sondern ihm eigen ist, weil es auch aus ihm ist, freilich in der ihm entsprechenden und geziemenden Weise. Das Unkörperliche zeugt ja nicht nach Art eines Körpers, sondern so, wie Licht vom Lichte gezeugt wird, wobei das aufstrahlende Licht innerhalb des ausstrahlenden Lichtes ist, so dass es auf unaussprechliche und unsagbare Art von ihm ausgeht, aber vermöge der Einigung und der natürlichen Identität in ihm ist. So, behaupten wir, ist der Sohn im Vater und der Vater im Sohn; denn der Sohn stellt in seiner eigenen Natur und Herrlichkeit ein Abbild des Vaters dar. Hat er doch deutlich genug zu einem der heiligen Jünger — es war Philippus — gesagt: „Glaubst du nicht, daß ich im Vater bin und der Vater in mir ist? Wer mich gesehen, hat den Vater gesehen." (Johannes 14: 9 f.). „Ich und der Vater sind Eins." (Johannes 10: 30.). Der Sohn ist also wesenseins mit dem Vater, und deshalb glauben wir, dass er gezeugt ist als wahrer Gott vom wahren Gott. Zwar finden wir das Wort „gezeugt werden" auch von den Geschöpfen gebraucht, wie in dem Ausspruche Gottes über die Israeliten: „Söhne habe ich gezeugt und erhöht." (Jesaja 1: 2.). Aber das Geschöpf erlangt diese Bezeichnung als Gnade, während von dem natürlichen Sohne nichts Derartiges in uneigentlichem Sinne gesagt wird, sondern alles auf Wahrheit beruht, weshalb auch er allein von allen sagt: „Ich bin die Wahrheit." (Johannes 14: 6.). Es ist also durchaus nicht unwahr, wenn jemand von seiner Zeugung oder von seiner Sohnschaft spricht, denn er ist die Wahrheit. Die allberühmten Väter geben unserm Geiste darüber Ruhe und Sicherheit, indem sie immer wieder vom Vater und Sohn reden und von Zeugung sprechen und zugleich behaupten, daß der Sohn als wahrer Gott vom wahren Gott und als Licht vom Lichte aufgestrahlt ist. Sie bekunden damit, dass die Zeugung unkörperlich und einfach ist und dass der Sohn aus dem Vater und in dem Vater und ein jeder von beiden als eigene Person zu fassen ist. Denn der Vater ist Vater und nicht Sohn, und der Gezeugte ist Sohn und nicht Vater, und trotz der Identität der Natur bleibt ein jeder das, was er im Besondern ist.

 

Wenn sie aber den Vater als den Schöpfer aller sichtbaren und unsichtbaren Dinge bezeichnen und beifügen, er habe alles durch den Sohn erschaffen, so wollen sie damit dem Sohne nicht ein geringeres Maß von Herrlichkeit als seinen Anteil zuerkennen. Das zu glauben, wäre sehr verfehlt, denn bei der Identität des Wesens ist ja nicht abzusehen, wie überhaupt von einem Kleinern oder einem Größern die Rede sein könne. Sie wollen nur sagen, dass es Gott und dem Vater von Natur aus eigen ist, nicht anders wirksam zu sein und etwas ins Dasein zu rufen als durch den Sohn im Geiste oder durch seine eigene Macht und Weisheit. Es steht ja geschrieben: „Durch das Wort des Herrn sind die Himmel gefestigt worden und durch den Hauch seines Mundes all ihr Heer." (Psalm 32: 6.). Der allweise Johannes aber sagt: „Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort", und fährt dann notwendig fort: „Alles ist durch ihn geworden, und ohne ihn ist nichts geworden.“ (Johannes 1: 1—3.).

 

Nachdem sie nun bezeugt haben, dass der Sohn mit dem Vater wesenseins ist und die gleiche Herrlichkeit und die gleiche Wirksamkeit hat, gedenken sie sachgemäß seiner Menschwerdung und umreißen das Geheimnis der Veranstaltung im Fleische, da sie wohl erkannt haben, dass erst damit die Überlieferung des Glaubens vollständig und lückenlos sein werde. Denn es genügte für die Gläubigen nicht, überzeugt zu sein, dass er als Gott aus Gott dem Vater gezeugt ist, wesenseins mit ihm und „Ebenbild seiner Substanz" (Hebräer 1: 3.); vielmehr mußten sie auch wissen, dass er des Heiles und des Lebens aller wegen sich selbst zur Entäußerung herabgelassen und „Knechtsgestalt angenommen" ( Philippper 2: 7.) und als Mensch erschienen ist, dem Fleische nach „geboren aus dem Weibe" (Galater 4: 4.). Deshalb sagen sie, daß er um uns Menschen und um unseres Heiles willen herabgestiegen und Fleisch und Mensch geworden ist. Beachte nun die angemessene Ordnung und die treffliche Gliederung, in welcher ihre Rede dahinschreitet! Herabgestiegen ist er, sagen sie, um darauf hinzuweisen, dass er seiner Natur und Herrlichkeit nach über allen Dingen erhaben ist, und zwar um unsertwillen herabgestiegen, weil er, denke ich, willens war, der Verähnlichung mit uns sich zu unterziehen und im Fleische der Welt aufzuleuchten. Denn im Buch der Psalmen steht geschrieben: „Gott wird sichtbar kommen, unser Gott, und er wird nicht schweigen." (Psalm 49: 3.). Der Ausgangspunkt des Abstiegs kann freilich, wenn man will, auch anders gefaßt werden, zum Beispiel vom Himmel und von oben her oder vom Vater selbst her. Die heiligen Schriften pflegen ja auch die über die Vernunft hinausgehenden Dinge in uns geläufige Worte zu kleiden. So hat der Herr im Gespräche mit den heiligen Jüngern gesagt: „Ich bin vom Vater ausgegangen und in die Welt gekommen, ich verlasse die Welt wieder und gehe zum Vater;" (Joh. 16, 28.) und wiederum: „Ihr seid von unten, ich bin von oben her;" (Johannes 8: 23.) und ein anderes Mal: „Ich bin vom Vater ausgegangen und bin gekommen." (Johannes 16: 28.). Und der göttliche Johannes schreibt: „Wer von oben her kommt, ist über allen." (Johannes 3: 31.). Denn da er in den höchsten Höhen thronte und ebenso wie sein Vater dem Wesen nach über allen Dingen erhaben war, weil durch die Identität der Natur mit dem Vater ausgezeichnet, so „hat er es nicht für Raub gehalten, Gott gleich zu sein; aber er entäußerte sich selbst, indem er Knechtsgestalt annahm, den Menschen ähnlich geworden und im Äußern als ein Mensch erfunden; er erniedrigte sich selbst." (Philipper 2: 6—8.). Wie nun das Wort Gott war, so ist es auch, als es sich mit unserm Fleische umkleidete, Gott geblieben, und deshalb sagt der hochheilige Paulus, es sei den Menschen ähnlich und im Äußern als ein Mensch erfunden worden. Denn es war, wie gesagt, Gott in unserer Hülle, und es hat nicht, wie einige Häretiker glauben zu sollen gemeint haben, unbeseeltes Fleisch angenommen, sondern vielmehr mit einer vernünftigen Seele beseeltes Fleisch. Es ist also eben das aus dem Wesen des Vaters hervorgegangene Wort, der eingeborene Sohn, wahrer Gott vom wahren Gott und Licht vom Lichte, der, durch den alles geworden ist; er, sagen die Väter, ist herabgestiegen und Fleisch und Mensch geworden, das heißt, er hat sich dem Fleische nach der Geburt aus dem Weibe unterzogen und ist in unserer Hülle erschienen. Denn das heißt Mensch werden.

 

Einer ist demnach der Herr Jesus Christus, das eingeborene Wort des Vaters selbst, das Fleisch geworden, ohne aufzuhören zu sein, was es war. Es ist auch in der Menschheit Gott geblieben und in der Knechtsgestalt Herrscher und in unserer Entäußerung voll der Gottheit und in der Schwäche des Fleisches Herr der Mächte und im Stande der Menschheit über alle Schöpfung erhaben. Denn was er vor der Fleischwerdung hatte, das behält er unverlierbar; er war ja Gott und wahrer Sohn, Eingeborener und Licht, Leben und Macht; und was er nicht war, hat er des Heilsratschlusses wegen angenommen, indem er die Eigentümlichkeiten des Fleisches sich selbst zu eigen machte. Das in unaussprechlicher und unsagbarer Weise ihm geeinte Fleisch war ja nicht das Fleisch eines andern, sondern sein eigenes Fleisch. So sagt auch der weise Johannes, daß „das Wort Fleisch geworden"(Johannes 1: 14.). Er ist aber nicht so Fleisch geworden, wie wenn er durch irgendwelche Umgestaltung oder Wandlung oder Veränderung in die Natur des Fleisches übergegangen wäre, und auch nicht so, wie wenn er sich irgendeiner Vermengung oder Vermischung oder, wie einige schwatzen, Wesensvereinigung (συνουσιοσις = Synusiosis) unterzogen hätte. Denn das ist unmöglich, weil er seiner Natur nach unwandelbar und unveränderlich ist. Vielmehr hat er, wie gesagt, mit vernünftiger Seele beseeltes Fleisch aus dem jungfräulichen und unbefleckten Leibe angenommen und sich zu eigen gemacht. Die gotteingegebene Schrift pflegt ja nicht selten mit dem Worte „Fleisch" allein den ganzen Menschen zu bezeichnen. Wenn es heißt: „Ich gieße von meinem Geiste aus über alles Fleisch"(Joel 2: 28.), so hat Gott damit nicht dem Fleische, welches nicht mit einer vernünftigen Seele beseelt ist, sondern den aus Seele und Leib bestehenden Menschen seinen Geist einzugießen verheißen.

 

Das Wort hat also nicht aufgehört zu sein, was es war, da es Mensch wurde, sondern ist auch, als es in unserer Hülle erschien, Wort geblieben. Und Christus ist nicht zuerst Mensch gewesen und später Gott geworden, sondern das Wort war Gott und wurde dann Mensch, damit es in einer und derselben Person Gott und Mensch zugleich sei. Diejenigen aber, welche ihn in zwei Söhne zerteilen und nun zu behaupten wagen, Gott das Wort habe den aus dem Samen Davids geborenen Menschen mit sich verbunden und seiner Würde und Ehre und der Auszeichnung der Sohnschaft teilhaft gemacht und ihn in den Stand gesetzt, das Kreuz zu erdulden und zu sterben und wieder aufzuleben und gen Himmel zu fahren und sich zur Rechten des Vaters zu setzen, um seiner Beziehung zu Gott wegen von der ganzen Schöpfung die Ehren der Anbetung zu empfangen, diese Leute predigen erstens zwei Söhne und verkehren sodann den Inhalt des Geheimnisses törichterweise in sein Gegenteil. Denn Christus ist, wie gesagt, nicht aus einem Menschen Gott geworden, sondern das Wort ist, da es Gott war, Fleisch, das heißt Mensch geworden. Es wird aber gelehrt, dass er sich entäußert hat, weil er vor der Entäußerung die ganze Fülle dessen besaß, was ihm zukommt, insofern er Gott ist. Er ist eben nicht aus der Leere aufgestiegen zur Fülle; er hat sich vielmehr aus göttlichen Höhen und unaussprechlicher Herrlichkeit selbst erniedrigt, nicht aber ist er als niedriger Mensch zur Höhe erhoben und mit Herrlichkeit gekrönt worden. Ein Freier hat Knechtsgestalt angenommen, nicht ein Knecht die Herrlichkeit der Freiheit erlangt. Der, der in der Gestalt des Vaters und ihm gleich war, ist den Menschen ähnlich geworden, nicht ein Mensch durch Teilnahme Gott ähnlich geworden.

 

Warum also verkehren sie die Lehre von der Menschwerdung und verfälschen die Wahrheit, im Widerspruch zu allen gotteingegebenen Schriften, welche auch den menschgewordenen Sohn Gott nennen und ihn allenthalben als Einen bezeichnen? Moses hat in dem Buche von der Erschaffung der Welt geschildert, wie der göttliche Jakob seine Knechte über den Fluß Jabok schickte und allein zurückblieb. Dann rang ein Mann mit ihm bis zum Anbruch des Morgens, und den Namen jenes Ortes nannte Jakob Gottesschau, indem er sprach: „Ich habe Gott geschaut von Angesicht zu Angesicht, und meine Seele ist gerettet worden." (Genesis 32: 16—31.). Er sah aber die Sonne aufgehen, als das Gesicht Gottes vorübergegangen war, doch hinkte Jakob an seiner Hüfte. Damit deutete Gott dem Patriarchen im voraus an, daß sein eingeborenes Wort zur Zeit Mensch werden und Israel zum Widersacher haben würde, und daß sie ihm gegenüber nicht geraden Weges wandeln, sondern gleichsam lahm sein würden, wie er selbst durch den Mund des Psalmensängers sagt: „Fremde Söhne haben mir vorgelogen, fremde Söhne sind altersschwach geworden und hinkend abgewichen von ihren Wegen." (Psalm 17: 46.). Das, glaube ich, wurde vorgebildet durch das Hinken Jakobs an seiner Hüfte. Beachte aber folgendes: Ein Mann ringt mit ihm, und er sagt, er habe Gott geschaut von Angesicht zu Angesicht, und nennt ihn Gottesschau. Denn das Wort Gottes ist, auch da es Mensch geworden, in der Gestalt des Vaters verblieben, ich meine dem geistigen Bilde und der vollständig unveränderten Natur nach. Hat er ja auch Philippus gegenüber sich selbst, und zwar da er im Fleische war, für „das Ebenbild des Wesens des Vaters.“ (Hebräer 1: 3.) erklärt und gesagt: „Wer mich gesehen, hat den Vater gesehen." (Johannes 14: 9.).

 

Und als er einen Blindgeborenen geheilt hatte und ihn im Tempel traf, fragte er: „Glaubst du an den Sohn Gottes?", und als jener antwortete: „Wer ist es, Herr, daß ich an ihn glaube?", erwiderte er: „Du hast ihn gesehen, und der, der mit dir spricht, der ist es." (Johannes 9: 35—37.). Gesehen hatte ihn der Blinde nicht in nacktem oder fleischlosem Zustande, sondern in unserer Hülle; und geglaubt hat er an den, den er gesehen, nicht als an einen Sohn, der mit einem andern Sohne verbunden war, sondern als den einen natürlichen und wahren Sohn, der den Erdenbewohnern nicht ohne Fleisch aufgeleuchtet war.

 

Der göttliche Moses aber sagt in seinen Segenssprüchen: „Gebet Levi seine Offenbarung und seine Wahrheit, dem frommen Manne, den man versucht hat bei der Versuchung, geschmäht hat bei dem Wasser der Empörung, der dem Vater und der Mutter sagte: Ich habe nicht auf dich gesehen, — und seine Brüder nicht anerkannte." (Deuteronomium 33: 8 f.). Es hatte nämlich der Gott des Weltalls für Aaron ein Gewand aus vielfarbigem Gewebe angeordnet, ein Gewand, welches nur dem Hohenpriestertum zustand und ihm ausschließlich vorbehalten war. An der Brust des Hohenpriesters hingen Steine, im ganzen zwölf, und in ihrer Mitte waren Offenbarung und Wahrheit angebracht, dazu noch zwei andere Steine (vgl. Exodus 28: 6 ff.). In geheimnisvoller Weise sollte dadurch der Chor der heiligen Apostel dargestellt werden, wie er im Kreise den Emmanuel umsteht, der die Offenbarung und Wahrheit ist; denn er hat uns die Wahrheit geoffenbart und dem Gottesdienste in Schatten und Vorbildern ein Ende gemacht.

 

Dass aber das eingeborene Wort Gottes unser Hoherpriester geworden ist, da es Mensch wurde, wie könnte das bezweifelt werden? Hat ja doch der göttliche Paulus geschrieben: „Achtet wohl auf den Apostel und Hohenpriester unseres Bekenntnisses, Jesus, der treu ist dem, der ihn bestellt hat!" (Hebräer 3: 1 f.). Dem Stande der Menschheit ist die Würde des Priestertums jedenfalls angemessen; zu gering, als daß sie mit der Natur und Herrlichkeit Gottes des Wortes vereinbar wäre, ist sie der Menschwerdung im Fleische durchaus entsprechend. Und alles Menschliche ist ihm zu eigen geworden. „Gebet", sagt also Moses, „Levi", das heißt dem Priester, „die Offenbarung und die Wahrheit!" Von welcher Art dieser Levi oder Priester ist, erklärt er dann durch den Zusatz „dem frommen Manne". Unser Herr Jesus Christus hat eben „keine Sünde getan" (1. Petrus 2: 22.), weshalb Paulus von ihm schreibt: „Ein solcher Hoherpriester geziemte uns, fromm, unschuldig, unbefleckt, gesondert von den Sündern und höher geworden als die Himmel." (Hebräer 7: 26.). Ihn hat man versucht bei der Versuchung, hat man geschmäht bei dem Wasser der Empörung. O des Wunders! Einen Mann nennt er ihn, bezeichnet ihn aber sofort als den Gott, den Israel gereizt und versucht hat in der Wüste und bei dem Wasser der Empörung. Der Psalmensänger bestätigt es, indem er berichtet: „Er spaltete den Felsen in der Wüste und tränkte sie wie mit reicher Flut. Er brachte Wasser aus dem Felsen hervor und ließ Wasser gleich Strömen niederfließen.“ (Psalm 77: 15 f.). Und was dann? „Und sie versuchten", heißt es, „ihn in ihren Herzen und redeten Böses wider Gott und sprachen: Kann etwa Gott einen Tisch decken in der Wüste? Er schlug den Felsen, und Wasser rannen, und Ströme brachen hervor; kann er etwa auch Brot geben oder einen Tisch decken seinem Volke?" (Psalm 77: 18—20.). Verstehe also, wie sie den wundertätigen Gott, den Moses einen Mann nannte, geschmäht haben! So hat auch der göttliche Paulus den Bericht verstanden, da er schreibt: „Sie tranken nämlich aus dem begleitenden geistigen Felsen, der Fels aber war Christus.“ (1. Korinther 10: 4.). Christus also war der geschmähte Mann, der, da er noch nicht Fleisch geworden war, von den Israeliten versucht wurde.

 

Denn dass der vor der Fleischwerdung existierende Sohn nicht, wie einige zu behaupten wagen, ein anderer als der aus dem Samen Davids geborene Mensch, sondern einer und derselbe mit diesem war, vor der Fleischwerdung noch nacktes Wort, nach der Geburt aus der heiligen Jungfrau Fleisch und Mensch geworden, wie die göttlichen Vater geschrieben haben, das hat Moses hinwieder durch ein anderes Kennzeichen außer Zweifel gestellt. Wie wenn jemand fragen würde und zu wissen wünschte, wer der Mann sei, der von den Israeliten. versucht und geschmäht worden, streckt er gewissermaßen die Hand aus und weist mit dem Finger auf Jesus hin, indem er spricht: „Der, der zu Vater und Mutter sagte: Ich habe nicht auf dich gesehen, — und seine Brüder nicht anerkannte." Wir erinnern uns, daß einer der heiligen Evangelisten geschildert hat, wie Christus lehrte und einige Leute in die Geheimnisse einführte und nun seine Mutter und seine Brüder herbeikamen und einer von den Jüngern zu ihm lief und sagte: „Siehe, deine Mutter und deine Brüder stehen draußen und wollen dich sehen.“ (Matthäus 12: 46—50.). Da streckte er seine Hand gegen die Jünger aus und sprach: „Meine Mutter und meine Brüder sind die, die das Wort Gottes hören und tun. Denn wer immer den Willen meines Vaters tut, der im Himmel ist, der ist mir Bruder und Schwester und Mutter." Das ist es, glaube ich, was Moses gemeint hat, als er sagte: „Der zu Vater und Mutter sagte: ich habe nicht auf dich gesehen, — und seine Brüder nicht anerkannte." (Deuteronomium 33: 9.).

 

Aber auch der allweise Daniel bezeugt, daß er das eingeborene Wort Gottes in unserer Hülle geschaut hat. Denn er erzählt, er habe einen Alten an Tagen gesehen, der auf einem Throne saß, während zehntausendmal Hunderttausende ihn umstanden und tausendmal Tausende ihm dienten; und nachdem er noch einiges beigefügt hat, fährt er fort: „Ich schaute in dem Gesichte der Nacht, und siehe, mit den Wolken des Himmels kam einer wie ein Menschensohn, und er gelangte bis zu dem Alten an Tagen und ward vor ihn gebracht, und es wurde ihm die Ehre und das Königtum verliehen, und alle Stämme und Zungen werden ihm dienen." (Daniel 7: 13 f.) — Siehe, er hat wiederum klar und deutlich den Emmanuel zu dem Vater und Gott in den Himmel aufsteigen sehen; denn „eine Wolke hat ihn entrückt"(Apostelgeschichte 1: 9.). Er nennt ihn auch nicht einfach einen Menschen, sondern einen wie ein Menschensohn; denn das Wort war uns ähnlich gewordener Gott. In diesem Sinne sagt auch der allweise Paulus, er sei den Menschen ähnlich geworden und im Äußern als Mensch erfunden worden (Philippper 2: 7.), und er sei in Fleisch wie Sündenfleisch den Erdenbewohnern erschienen (Römer 8: 3.). Wäre er jedoch ein Mensch, der seiner Verbundenheit mit Gott wegen wie Gott geehrt wird, so würde der Prophet gesagt haben, er habe einen wie Gott oder einen wie den Sohn Gottes mit den Wolken kommen sehen. Das hat er aber nicht gesagt, sondern vielmehr: einen wie ein Menschensohn. Er wußte also, daß der Sohn Gott war und Mensch geworden oder nach dem Ausdruck des Paulus den Menschen ähnlich geworden war. Wiewohl er indessen im Fleische erschienen war, „gelangte er bis zu dem Alten an Tagen", das heißt: stieg er hinauf zu dem Throne des ewigen Vaters, „und es wurde ihm die Ehre und das Königtum verliehen, und alle Stämme und Zungen werden ihm dienen." Das also war es, was er in die Bitte kleidete: „Vater, verherrliche mich mit der Herrlichkeit, die ich hatte, bevor die Welt war, bei dir." (Johannes 17: 5.)

 

Daß aber das fleischgewordene Wort Gottes Throngenosse und auch im Fleische an Hoheit Gott und dem Vater gleich ist, weil es e i n Sohn ist, auch nachdem es Mensch geworden, das bezeugt unzweideutig der allweise Paulus, indem er schreibt: „Wir haben einen solchen Hohenpriester, der sich zur Rechten des Thrones der Majestät in der Höhe gesetzt hat.“ (Hebräer 8: 1.). Ja, auch unser Herr Jesus Christus selbst hat auf die Frage der Juden, ob er in Wahrheit der Christus sei, geantwortet: „Wenn ich es euch sage, so werdet ihr es nicht glauben, und wenn ich frage, so werdet ihr nicht antworten; von nun an aber wird der Menschensohn zur Rechten der Macht Gottes sitzen.“ (Lukas 22: 67—69.). Der Chor der heiligen Propheten also schaute auch den menschgewordenen Sohn auf den Thronsesseln der Gottheit.

 

Sehen wir aber auch, was die Herolde des Neuen Bundes zu künden haben, die Lehrmeister des Erdkreises, zu denen Christus selbst gesagt hat: „Nicht ihr seid es, die da reden, sondern der Geist eures Vaters, der in euch redet." (Matthäus 10: 20.). Der göttliche Täufer also, finden wir, spricht: „Nach mir kommt ein Mann, welcher vor mir auf getreten ist, weil er früher war als ich." (Johannes 1: 30.). Wie kann nun aber der, der nach ihm kam, früher gewesen sein als er? Denn daß Christus der Zeit des Fleisches nach später war als Johannes, wird doch wohl niemandem unbekannt sein. Wer wird das also aufhellen wollen? Gelöst hat uns das Rätsel der Heiland selbst, indem er zu den Juden sagte: „Wahrlich, ich sage euch, ehe Abraham ward, bin ich." (Johannes 8: 58.). Er war nämlich vor Abraham seiner Gottheit nach, ist aber nach ihm, insofern er als Mensch erschienen ist. Wenn ferner Gott und der Vater nachdrücklich erklärt: „Ich gebe meine Herrlichkeit keinem andern" (Jesaja 42: 8.) — denn es ist kein anderer Gott außer ihm —, so hat Christus zu uns gesagt: „Wenn aber der Menschensohn kommen wird in der Herrlichkeit seines Vaters mit den heiligen Engeln." (Markus 8: 38.). Dass wir aber die Herabkunft des Menschensohnes von den Himmeln zu erwarten haben, bezeugt wieder der allweise Paulus, der schreibt: „Denn die heilbringende Gnade Gottes ist allen Menschen erschienen, auf dass sie, der Gottlosigkeit und den weltlichen Begierden entsagend, nüchtern und gerecht und fromm und gottgefällig in dieser Welt leben, wartend auf die selige Hoffnung und das Erscheinen der Herrlichkeit unseres großen Gottes und Heilandes Jesus Christus." (Titus 2: 11—13.). Und anderswo hat er von den Israeliten gesagt: „Ihrer sind die Verheißungen und die Gesetzgebung und der Bundesvertrag, und aus ihnen ist dem Fleische nach Christus, der da über alles Gott ist, gepriesen in alle Ewigkeit. Amen." (Römer 9: 4 f.)

 

So behaupten wir denn, unverbrüchlich in den Spuren des Bekenntnisses der Väter wandelnd, daß der aus Gott dem Vater gezeugte eingeborene Sohn selbst Fleisch und Mensch geworden, gelitten hat und gestorben und am dritten Tage von den Toten auferstanden ist. Freilich ist das Wort Gottes, soweit es auf seine eigene Natur ankommt, anerkanntermaßen leidensunfähig; und niemand wird so töricht sein, zu meinen, daß die über alles erhabene Natur einem Leiden zugänglich sein könne. Allein er ist Mensch geworden, indem er das Fleisch aus der heiligen Jungfrau sich zu eigen machte; und im Hinblick auf die Menschwerdung lehren wir deshalb, daß er, als Gott allem Leiden entrückt, als Mensch in seinem Fleische gelitten hat. Ist er, da er Gott war, Mensch geworden, ohne etwas von der Gottheit aufzugeben, ist er ein Teil der Schöpfung geworden, aber über die Schöpfung erhaben geblieben, ist er, als Gott Gesetzgeber, dem Gesetze Untertan geworden, aber doch noch Gesetzgeber gewesen, hat er, als Gott Herrscher, Knechtsgestalt angelegt, aber die Herrscherwürde unverlierbar beibehalten, ist er, da er Eingeborener war, „Erstgeborener unter vielen Brüdern“ (Römer 8: 29.) geworden, aber doch Eingeborener geblieben —, was Wunder, wenn er als Mensch im Fleische gelitten hat, aber auch so als Gott leidensunfähig gewesen ist!

 

Der allweise Paulus sagt denn auch, daß eben das Wort, das in der Gestalt Gottes und des Vaters und ihm gleich war, gehorsam geworden ist sogar bis zum Tode, ja bis zum Tode am Kreuze (Philipper 2: 8.). Und in einem andern seiner Briefe schreibt er von ihm: „Der da das Ebenbild des unsichtbaren Gottes ist, der Erstgeborene vor jeglichem Geschöpfe; denn in ihm ist alles erschaffen worden, was im Himmel und was auf Erden istf und er ist vor allem, und in ihm hat alles Bestand; und er", heißt es, „ist der Kirche zum Haupt gegeben, und er ist der Erstling der Entschlafenen geworden und der Erstgeborene aus den Toten.“ (Kolosser 1: 15—18; 1. Korinther 15. 20). Gewiß ist das aus Gott und dem Vater stammende Wort Leben und Lebensspender, weil aus dem Leben dessen entsprossen, der ihn gezeugt hat. Wie kann er dann aber, darf man fragen, der Erstgeborene aus den Toten und der Erstling der Entschlafenen geworden sein? Da er das dem Tode zugängliche Fleisch sich zu eigen gemacht hatte, hat er „durch die Gnade Gottes", wie der allweise Paulus sagt, „für einen jeden den Tod gekostet" (Hebr. 2, 9.), weil er im Fleische leiden konnte, ohne daß er aufhörte, Leben zu sein. Wenngleich es also heißt, daß er im Fleische gelitten hat, so empfindet er das Leiden doch nicht in der Natur der Gottheit, sondern, wie ich eben sagte, in seinem dem Leiden zugänglichen Fleische.

 

Hat ja auch der selige Prophet Jesaja, der wohl wußte, daß es der menschgewordene Gott war, welcher im Fleische litt, von ihm gesagt: „Wie ein Schaf ward er zur Schlachtung geführt, und wie ein unschuldiges Lamm, welches vor seinem Scherer verstummt, öffnet er nicht seinen Mund. In seiner Erniedrigung ward sein Gericht hinweggerafft. Wer soll sein Geschlecht erzählen? Denn sein Leben wird hinweg genommen von der Erde." (Jesaja 53: 7 f.). Wäre er irgendein Mensch und würde nur wegen seiner Verbundenheit mit Gott als Sohn besonders ausgezeichnet, wie die Urheber der gottlosen Lehren behaupten, wie sollte es noch schwer sein, jemanden zu finden, der sein Geschlecht erzählen kann? Er ist ja geboren aus dem Samen Jesses und Davids. Aber das Geschlecht Gottes des Wortes oder die Art und Weise seiner Geburt, wer wird sie erklären können? „Denn sein Leben wird hinweg genommen von der Erde", das heißt sein Dasein, denn unter dem „Leben" ist das Dasein zu verstehen. Er wird in die Höhe entrückt und überragt nun die Erdenbewohner. Denn das Wesen der unaussprechlichen Natur ist menschlichem Verstande unerreichbar und völlig unnahbar.

 

Dem Gesagten möchte ich noch beifügen, dass „ein Herr ist, ein Glaube, eine Taufe" (Epheser 4: 5.), wie der hochheilige Paulus sagt. Wenn nun ein Herr ist, ein Glaube und eine Taufe, wer ist der Herr, und an wen haben wir geglaubt, und auf wen sind wir getauft worden? Es spricht doch alles dafür, dass das aus Gott dem Vater entsprungene Wort es ist, dem die Herrschaft gebührt, dem unser Glaube gilt, und auf den auch die heilbringende Taufe vollzogen wird. Er hat ja den heiligen Aposteln den Auftrag gegeben: „Gehet hin und lehret alle Völker und taufet sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes." (Matthäus 28: 19.). Der göttliche Paulus aber spricht sich über die Herrlichkeit der Herrschaft sowohl wie das Bekenntnis des Glaubens und auch die Wirksamkeit der Taufe unzweideutig aus, indem er schreibt: „Sag’ nicht in deinem Herzen: Wer wird hinaufsteigen in den Himmel, um nämlich Christus herabzuholen? Oder wer wird hinabsteigen in die Unterwelt, um nämlich Christus von den Toten heraufzuholen? Sondern was sagt die Schrift? Nahe bei dir ist das Wort, in deinem Munde und in deinem Herzen. Denn wenn du sagst: Herr Jesus, und mit deinem Herzen glaubst, daß Gott ihn von den Toten auferweckt hat, so wirst du gerettet werden.“ (Römer 10: 6—9.). Und wiederum: „Wißt ihr nicht, daß wir alle, die wir auf Christus Jesus getauft wurden, auf seinen Tod getauft wurden?" (Römer 6: 3.). Siehe, deutlich nimmt er die Herrlichkeit der Herrschaft sowohl wie das Bekenntnis des Glaubens und auch die Gnade der heiligen Taufe wohlweislich für den in Anspruch, der den Tod erlitten hat und von den Toten auferweckt worden ist.

 

Sollen wir nun an zwei Söhne glauben? Sollen wir das aus Gott dem Vater aufgestrahlte Wort beiseite schieben und die Herrlichkeit der Herrschaft und auch das Bekenntnis des Glaubens sowie die himmlische Taufe einem anderen Sohne, der angeblich gelitten hat, zuweisen? So zu denken oder zu sprechen, wäre doch töricht und überdies auch unzweifelhaft gottlos. Was werden wir also sagen? Es ist in Wahrheit ein Herr, ein Glaube, eine Taufe. Denn es ist ein Sohn und Herr, nicht ein Wort, welches einen Menschen in Weise der Verbundenheit angenommen und zum Teilhaber seiner Würden gemacht und zum Sohne und Herrn erhoben hätte, wie einige Schwätzer behaupten und geschrieben haben, sondern der aus Gott entstammte Gott das Wort, das Licht vom Lichte, welches in eigener Person Mensch und Fleisch geworden ist. Auf seinen Tod sind wir getauft worden, indem er als Mensch in seinem Fleische für uns gelitten hat, während er als Gott leidensunfähig verblieben ist und immerdar lebt; denn er ist Leben aus dem Leben Gottes und des Vaters. So ist der Tod besiegt worden, da er es wagte, den Leib des Lebens anzugreifen; so wird auch in uns die Vergänglichkeit abgetan und die Gewalt des Todes gebrochen; daher sprach Christus: „Wahrlich, ich sage euch, wenn ihr nicht das Fleisch des Menschensohnes eßt und sein Blut trinkt, so habt ihr das Leben nicht in euch." (Johannes 6: 54.). Denn der heilige Leib und das Blut Christi ist lebenspendend. Es ist eben, wie gesagt, nicht der Leib eines Menschen, welcher an dem Leben teilhatte, sondern der eigene Leib dessen, der von Natur aus Leben ist, nämlich des Eingeborenen.

 

So denkt mit uns der christusliebende Chor der heiligen Väter, unter ihnen auch derjenige, welcher zur Zeit den Stuhl der heiligen Kirche zu Konstantinopel ziert, unser frömmster und gottesfürchtigster Bruder und Mitbischof Proklus. Er hat an die gottesfürchtigsten Bischöfe des Morgenlandes wörtlich wie folgt geschrieben: „Und der Körperlose wird ohne Verwandlung Fleisch, und der Anfanglose wird dem Fleische nach geboren, und der von Natur aus schlechthin Vollkommene macht dem Leibe nach an Alter Fortschritte, und der über Leiden Erhabene erduldet Leiden, nicht in dem, was er war, den Gewalttaten unterliegend, aber in dem, was er geworden ist, den Leiden des Leibes unterworfen." — Damit wird also der Falschglaube der Leute, die anders, als vorhin gesagt, denken oder geschrieben haben, überführt, allenthalben an Verruchtheit zu kranken und den Lehren der Wahrheit zu widerstreiten.

 

Nachdem die dreimalseligen Väter die Lehre über Christus abgeschlossen haben, gedenken sie des Heiligen Geistes. Auch an ihn erklären sie zu glauben gleichwie an den Vater und den Sohn. Denn er ist wesenseins mit ihnen und entspringt oder geht aus wie aus einer Quelle aus Gott und dem Vater und wird der Schöpfung verliehen durch den Sohn. Dieser hauchte ja die heiligen Apostel an und sprach: „Empfanget den Heiligen Geist!" (Johannes 20: 22.). Der Geist ist also aus Gott und ist Gott und dem allerhöchsten Wesen nicht fremd, sondern aus ihm und in ihm und ihm eigen.

 

Das also ist der durchaus zutreffende und gänzlich irrtumslose Glaube oder das Glaubensbekenntnis der heiligen Väter. Aber, wie Paulus sagt: „Der Gott dieser Welt hat den Geist der Ungläubigen verblendet, daß sie nicht sehen das Leuchten des Evangeliums von der Herrlichkeit Christi." (2. Korinther 4: 4.). So haben daher manche den geraden Weg der Wahrheit nicht gehen wollen und stoßen nun auf Felsen, „ohne zu verstehen, was sie reden, noch worüber sie Behauptungen aufstellen" (1. Timotheus 1: 7.). Indem sie nämlich die Herrlichkeit der Sohnschaft nur dem aus Gott entsprungenen Worte vorbehalten, behaupten sie, der aus dem Samen Jesses und Davids Geborene sei mit ihm als ein anderer Sohn verbunden worden und habe nur teil an der Sohnschaft und der göttlichen Ehre und der Einwohnung des Wortes und habe überhaupt alles von ihm erhalten, während er nichts Eigenes besitze. Solche Leute, denke ich, sind es, von denen die Jünger des Heilandes geschrieben haben: „Es haben sich nämlich gewisse Menschen eingeschlichen, die längst vorher bezeichnet sind zu diesem Strafgerichte, Gottlose, welche die Gnade Gottes verkehren zu Zügellosigkeit und Jesus Christus, unsern alleinigen Herrscher und Herrn, leugnen." (Judas 4.). Jesus Christus wird mit Recht das in menschlicher Gestalt erschienene Wort genannt. Denn die Gegner, welche aus übergroßem Unverstände sich nicht scheuen, so wie Nestorius und Theodor (Theodor von Mopsuestia, der Nestorius vor Nestorius) zu denken und zu sprechen, sollen antworten auf den Vorwurf: Ihr sprecht dem aus der heiligen Jungfrau Geborenen die Gottheit und die wahre Sohnschaft Gottes und des Vaters ab, indem ihr ihm lediglich das Leiden zuweist und ihn von Gott dem Worte trennt, um nicht von einem leidenden Gott sprechen zu müssen. Denn das sind die Erfindungen ihrer verstiegenen Spitzfindigkeit — abscheuliche Gedanken. Es würde also das aus Gott dem Vater entstammte Wort für sich allein auch nicht mehr Christus genannt werden dürfen. Denn wie ihm bei der Annahme, daß er nicht im Fleische sei, das Leiden nicht zugeeignet werden kann, so ist auch das Gesalbtwerden etwas, was ihm fern liegt und durchaus fremd ist. „Jesum von Nazareth hat Gott gesalbt mit dem Heiligen Geiste." (Apg. 10, 38.). Das Wort Gottes aber ist aus sich schlechthin vollkommen und hat einer Salbung durch den Heiligen Geist nicht bedurft. Leugnet also die Menschwerdung, stellt die Liebe des Eingeborenen zu der Welt in Abrede, nennt ihn eurerseits nicht Christus. Oder war es nicht seiner unwürdig, in unsern Verhältnissen geboren zu werden? Weil also auch dies sich für ihn nicht schickte, so soll keiner bekennen, daß Gott Mensch geworden ist, damit Christus auch zu ihnen sage: „Ihr irrt, weil ihr weder die Schriften kennt noch die Macht Gottes."(Matthäus 22: 29.). Wir werden also diejenigen, die so haben denken wollen, als Feinde der Wahrheit ansehen und ihre verderbenbringenden Schwätzereien fliehen und vielmehr den Lehren der heiligen Väter folgen und der Überlieferung der heiligen Apostel und Evangelisten. Denn das menschgewordene Wort selbst war es, das in ihnen redete (vgl. 2. Korinther 13: 3.), das Wort, durch welches und mit welchem Gott und dem Vater Ehre, Herrlichkeit und Herrschaft ist, mitsamt dem Heiligen Geiste, jetzt und immer und in alle Ewigkeiten! Amen.

 

Quelle: BKV;  Hl. Kyrill, Erzbischof von Alexandria - Erklärung des nizänischen Glaubensbekenntnisses